Was ist eigentlich ein
Belgischer Kreisel?

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Heute tauchen wir in die Welt des Profiradsports ein und beschäftigen uns mit dieser besonderen Technik des Windschattenfahrens.
Doch zunächst ein kleiner Exkurs. „Windschatten“ – meiner Meinung nach eins der großartigsten und einzigartigen Wörter der deutschen Sprache (gleich nach „Feierabend“). Denn wo wir poetisch im Schatten des Windes dahingleiten, sprechen die Engländer kalt von „drafting“ und die Franzosen noch uninspirierter von „le drafting“. Auch die Bezeichnung „Belgischer Kreisel“ gibt es nur im Deutschen. Auf Englisch heißt es ungleich brutaler „Belgian tourniquet“, obwohl der Begriff wohl nur selten verwendet wird.
Aber wie funktioniert das Windschattenfahren überhaupt? Fährt man zu zweit, ist es relativ einfach: Eine Person fährt vorne und bricht den Fahrtwind, die zweite Person fährt direkt hintendran und profitiert von einem bis zu 30 Prozent geringeren Luftwiderstand. Bei einer Geschwindigkeit von 25 – 30 km/h sollte der Abstand zum Vorderrad nur ca. 20 cm betragen, um den vollen Effekt auszunutzen. Kommt der Wind von der Seite, muss die hintere Person sich leicht versetzt positionieren. Beim Freizeitfahren ist diese Technik ein netter Trick, wenn einer der beiden Partner etwas besser in Form ist.
rechts: … jetzt in die rechte Reihe, links übernimmt der bisher Zweite die Führungsarbeit.
rechts: Inzwischen ist vorne der nächste Führungswechsel erfolgt
Mike Friedmann/Eintracht Frankfurt Triathlon (4)
Ganz anders sieht es im Profirennsport aus, wo das Windschattenfahren ein wichtiger Teil der Strategie ist. Im klassischen Peloton, angeordnet in Dreiecksform, sinkt der Luftwiderstand in den hinteren Reihen auf zehn Prozent des eigentlichen Wertes, weshalb die Stars selten ganz vorne fahren. So schonen sie lange ihre Kräfte und können am Ende glänzen. In manchen Rennen bilden sich sogenannte Ausreißergruppen. Hierbei sondern sich einige Fahrer vom Feld ab, um einen Vorsprung herauszuradeln. Da die Ausreißer nun allerdings auf den Windschatten des Pelotons verzichten müssen, kommt der Belgische Kreisel zum Einsatz. Es werden zwei nebeneinander fahrende Reihen gebildet, wobei eine Reihe ca. 2 km/h schneller unterwegs ist. Der vorderste Fahrer lässt sich nach getaner Führungsarbeit in die langsame Reihe abfallen und die Person hintendran übernimmt. Somit werden die anstrengende Führungsarbeit und der Genuss des Windschattens gleichmäßig aufgeteilt.
Einen Belgischen Kreisel flüssig zu beherrschen, erfordert viel Übung. Dazu gehört praktisches Training, aber auch etwas Theorie. Denn ob der Kreisel sich im oder gegen den Uhrzeigersinn dreht, hängt davon ab, aus welcher Richtung der Wind bläst. Wird die Formation bei einer Ausreißergruppe genutzt, kommt erschwerend hinzu, dass die Fahrer meist aus unterschiedlichen Teams stammen und im Grunde genommen nur Verbündete auf Zeit sind.
Der Ursprung des Ausdrucks ist nicht eindeutig belegt. Er etablierte sich wohl in den 1960er Jahren, als der Radsport in Belgien einen ersten Boom erlebte und Stars wie Rik Van Looy und später Eddy Merckx hervorbrachte. Aufgrund der flachen, windigen Radrennen wie der Flandern-Rundfahrt (Ronde van Vlaanderen) waren die Belgier echte Profis im Ausnutzen des Windschattens und daraus hat sich die Bezeichnung für diese Formation entwickelt. Schade, dass der Begriff eigentlich nur im Deutschen verwendet wird und die Belgier nie davon erfahren werden. Ähnlich wie Menschen in Großbritannien wahrscheinlich nichts von der „Englischen Woche“ der deutschen Fußball Bundesliga wissen. Aber das ist ein anderes Thema …