Ein Radweg für Alltag und Freizeit
Die lange Geschichte Radschnellweg Darmstadt–Frankfurt
Seit 2018 wird am Radschnellweg zwischen Darmstadt und Frankfurt gebaut. Während die einen die Fortschritte betonen, kritisieren die anderen, dass alles viel zu langsam gehe. Was ist also dran am Radschnellweg und wo stehen wir?
Eine bundesweit verbindliche Definition, was ein Radschnellweg oder eine Radschnellverbindung ist (beide Begriffe werden oft synonym verwendet), gibt es nicht. Die Straßenverkehrsordnung bringt uns ebenfalls nicht weiter. Es gibt zwar das Verkehrszeichen 350.1 als Hinweis auf einen Radschnellweg. Aber wie man sich dort zu verhalten hat und was das ist, darüber sagt das Verkehrszeichen nichts aus.
Konkreter wird es auf der Ebene der Bundesländer und in den entsprechenden Straßenverkehrsgesetzen oder Ausbaustandards. Hessen hat 2019 in den „Qualitätsstandards und Musterlösungen“ erstmalig drei Ausbaustufen definiert: Radschnellverbindungen, Raddirektverbindungen sowie Radverbindungen (Quelle: https://kurzlinks.de/dab5). Bei Radschnellwegen der höchsten Ausbaustufe geht man von mehr als 2.000 Fahrten mit dem Rad am Tag aus, bei 1.500 bis 2.000 Fahrten am Tag wird der Ausbau als Raddirektverbindung mit etwas geringeren Anforderungen empfohlen. Alles, was unter 1.500 Fahrten pro Tag liegt, fällt in die Kategorie der Radverbindungen einschließlich der Hessischen Radfernwege.
Rennstrecke für den Radverkehr?
Immer wieder taucht in den Medien und in der öffentlichen Diskussion der Begriff „Fahrradautobahn“ auf. Ganz ehrlich, mit dieser Wortwahl tun wir uns keinen Gefallen. Mit einer Autobahn werden erhebliche Belastungen durch den Flächenverbrauch und die Trennungswirkung inner- und außerorts assoziiert. Erfreulicherweise hat Hessen sich hier bewusst dagegen entschieden, die Radschnellwege mit Autobahnen gleichzusetzen, und damit so manche Schlagzeile vermeiden können. Denn selbst der Ausdruck „Radschnellweg“ verunsichert manche Anwohnenden, womöglich mit der Sorge verknüpft, ob sich die Strecke voller schneller Radfahrender sicher queren lässt.
Tatsächlich ist ein Radschnellweg aber kein Highway für Rennradfahrer:innen oder wilde Mountainbiker. Es geht nicht um das Rasen, sondern das störungsfreie Radfahren. Dies ist die zentrale Stellschraube, um schneller von A nach B zu kommen. Als Pendlerin fahre ich ein Stahlrad, mit dem ich sicherlich keine Rennen gewinne. Damit spare ich bereits jetzt 10 Minuten Fahrtzeit täglich.
Die Situation in Hessen
Im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern hat Hessen die Baulast (also die Zuständigkeit für die Planung, Bau und Unterhalt) nicht verändert. Sie liegt bis auf wenige Ausnahmen weiterhin bei den jeweiligen Kommunen. Diese Entscheidung kann man kontrovers diskutieren. Als Argument für die Baulast bei den Kommunen wird oft angeführt, dass der Radverkehr Aufgabe der Kommunen sei und nur so die notwendige enge Verzahnung aller Teile des Radnetzes und aller Aktivitäten gewährleistet sei.
Dem widerspricht der ADFC Hessen: Gerade kleinere Kommunen tun sich schwer mit Planung, Bau und Unterhalt sowie dem Koordinationsaufwand bei Gemeinde- und Kreisgrenzen überschreitenden Projekten. So hängen Fortschritte stets davon ab, was in der einzelnen Kommune gewollt oder nicht gewollt ist.
Um schneller in die Umsetzung zu kommen, fordert der ADFC Hessen daher, dass das Land, wie bei anderen überregionalen Straßenbauprojekten, die Baulastträgerschaft für Radschnellwege übernimmt – bislang ohne Erfolg.
Radschnellweg Frankfurt-Darmstadt
Insgesamt hat das Land Hessen 42 Korridore mit Potenzial für Radschnellverbindungen identifiziert – ganz vorne mit dabei die Strecke Darmstadt-Frankfurt (FRM1). Bereits 2018 kam es mit viel Elan zum ersten Spatenstich und knapp ein Jahr später waren die ersten 3,6 Kilometer zwischen Egelsbach und Wixhausen fertiggestellt. Nach und nach folgten weitere Teilabschnitte. Seit der Freigabe des neuen Wegestücks südlich des Langener Bahnhofs ist die Strecke von Langen bis Darmstadt-Arheilgen durchgehend befahrbar. Dabei werden die Radschnellwegstandards in weiten Teilen eingehalten. Überall war dies jedoch nicht möglich. So konnte bei Wixhausen ein Grundstück nicht erworben werden, was eine kurze Engstelle mit sich bringt. Auch dass in Erzhausen die Querung der Kreisstraße 167 (am Bahnhof) manchmal eine Geduldsprobe darstellt, ist nicht ideal. Aber insgesamt haben wir damit ein wunderbares Stück Alltagsradweg erhalten!
Wie geht es nördlich von Langen weiter?
Diese Frage habe ich dem Kelsterbacher Bürgermeister Manfred Ockel gestellt. Er setzt das Projekt als Geschäftsführer der Regionalpark RheinMain SÜDWEST gGmbH um, die sich im Rhein-Main-Gebiet schon um die Koordination und Umsetzung vieler interkommunaler Projekte und Radwege gekümmert hat.
Mich interessierte insbesondere die Strecke zwischen Langen und Frankfurt. Laut Ockel laufen derzeit die Planungen für eine Brückenkonstruktion von der Langener Liebigstraße (östlich der Gleise) auf die andere, westliche Seite der Gleise. Von dort führt der Weg entlang der Bahn und über die bestehende Überführung in Richtung der Deutschen Flugsicherung. Unmittelbar nach der Überführung verläuft die Strecke so nah wie möglich weiter entlang der Bahn bis zur Kreuzung im Bereich der Landesstraße 3262 (bei Buchschlag). Hier soll demnächst mithilfe einer Machbarkeitsstudie geklärt werden, wie man Bus, Bahn und Radfahrende sinnvoll miteinander kombinieren kann.
Weiter geht es die Gleise entlang Richtung Norden, bis man vor Neu-Isenburg auf die Landesstraße 3117 trifft, die Neu-Isenburg in west-östlicher Richtung durchquert. Dort soll der Radverkehr über eine Rampe auf die Straße und wieder hinab zur Bahnstrecke geführt werden. Sobald man auf dem Gebiet des Frankfurter Stadtwalds ist, ist die Stadt Frankfurt zuständig. Ein Stadtverordnetenbeschluss zur Streckenführung liegt bereits vor. Auch hier beginnt demnächst die nächste Stufe der Planung.
Die nächsten Herausforderungen
Bei dieser Frage muss Bürgermeister Ockel nicht lange zögern und antwortet, dass bei dem Abschnitt zwischen Langen und Frankfurt die besonderen Herausforderungen eindeutig im Naturschutz liegen. Sowohl bei Neu-Isenburg als auch auf Frankfurter Stadtgebiet müssen zum Beispiel Flächen aus dem Bannwald herausgelöst werden. Dies lässt sich nur umsetzen, wenn alle zuständigen Stellen einschließlich Naturschutzbehörde und Forstamt eingebunden sind.
Die Nutzung
Bürgermeister Ockel antwortet auf die Frage nach der Akzeptanz des Radschnellwegs, dass die Nutzung steigt und er sie zufriedenstellend findet. Nun konnte man am 16. März dieses Jahres im Darmstädter Echo lesen, dass der Radschnellweg die angestrebten Zahlen verfehlen würde. Ja, das ist (noch) so. Aber muss man hier nicht auch offen und ehrlich einräumen, dass neue Gewohnheiten ihre Zeit brauchen? Menschen steigen nicht von heute auf morgen vom Auto aufs Rad um. Voll entfalten wird der Radschnellweg sein Potenzial wohl erst dann richtig, wenn er auch in die größeren Orte hineinführt. Wer in der Dämmerung oder Dunkelheit fürchten muss, im Frankfurter Stadtwald auf unbefestigten Wegen zu Fall zu kommen, meidet meist diese Strecke.
Die Nutzungszahlen, die sich aus den Zählstellen ablesen lassen, zeigen darüber hinaus ein interessantes Phänomen. Der Radschnellweg dient eben nicht nur als Alltagsweg für Pendler:innen, sondern ist auch eine beliebte Freizeitstrecke. Über 2.600 Radfahrende am 1. Mai des letzten Jahres sprechen für sich. Fährt man dort am Wochenende, stellt man schnell fest: Der Radschnellweg ist samstags und sonntags ein Ort für Familien. Dann sind zahlreiche Eltern und Großeltern mit ihren (Enkel-)Kindern unterwegs. Man sieht aber auch Ältere, denen der Radschnellweg vielleicht einfach das Gefühl der Sicherheit gibt, das sie brauchen, um überhaupt aufs Rad zu steigen. Als ich an der Radschnellweg-Engstelle in Wixhausen anhielt, um einige Fotos zu schießen, kam ich mit einem Herrn ins Gespräch, der mir sagte, dass er als über 90-Jähriger hier die Möglichkeit hätte, sich täglich sicher fortzubewegen. „Der Radschnellweg ist für mich genau richtig. Ich radle darauf noch so viel und so lange wie möglich“, sagte er mir, schwang sich aufs Rad und fuhr weiter.
Für Radschnell- und Raddirektverbindungen sollen die folgenden Kriterien erfüllt sein:
- Möglichst direkte und steigungsarme Führung
- Hohe Oberflächenqualität
- Reisegeschwindigkeit (inkl. der Verlustzeiten an Knotenpunkten): ≥ 20 km/h
- Zeitverluste an Knotenpunkten: ≤ 30 Sek./km (innerorts),≤ 15 Sek./km (außerorts)
- Ausreichende Breiten, die das Nebeneinanderfahren, Überholen und störungsfreie Begegnen ermöglichen (Radschnellverbindung: mind. 3 Meter bei Ein- und mind. 4 Meter bei Zweirichtungswegen / Raddirektverbindung: mind. 2 Meter bei Ein- und mind. 3 Meter bei Zweirichtungswegen)
- Trennung von Fuß- und Radverkehr
- Beleuchtung im Außenbereich
In einem Satz: Ein Radschnellweg ist ein Premiumradweg für den Alltagsradverkehr, wichtige Orte oder Zentren möglichst direkt und ohne Umwege miteinander zu verbinden.