Checkpoints – Türme – Mauerspechte
Spuren deutscher Geschichte: Radreise entlang der ehemaligen Berliner Mauer
Um einen Blick in die jüngere deutsche Geschichte werfen zu können, bot ADFC-Tourleiter Jens Zukunft eine viertägige Radreise entlang der ehemaligen Berliner Mauer an. Rund 28 Jahre lang – vom 13. August 1961 bis zur friedlichen Revolution am 9. November 1989 – war der Westteil der Stadt von einer unüberwindlichen Mauer umgeben und vom Ostteil abgeriegelt. Einer Mauer, die weltweit zum Symbol der deutschen Teilung geworden war. Einer Mauer, die viele Ostberliner daran hinderte, Freunde und Familie im Westteil zu besuchen und die mindestens 140 Menschen beim Fluchtversuch das Leben kostete. Heute führt ein gut beschilderter Radweg entlang von Mauerresten und Wachtürmen quer durch die Stadt, rund um die Stadtteile von Reinickendorf im Norden, Spandau im Westen, Steglitz im Süden und Kreuzberg in der Mitte. Durch Regierungsviertel, Parkanlagen, Gedenkstätten und vorbei an den vielen Gewässern, die Berlin umgeben.
Neun Radler:innen aus Frankfurt und Umgebung machten sich am Vorabend des Maifeiertags per ICE mit ihren Rädern auf den Weg nach Berlin. Das Ziel: den Verlauf der Berliner Mauer mitsamt Grenzübergängen, Checkpoints und Überwachungsanlagen mit eigenen Augen zu sehen und den Auswirkungen auf die damalige Bevölkerung in beiden Teilen der Stadt nachzuspüren. Damit acht Teilnehmende in einem Fahrradabteil unterkommen konnten – in ICE-Zügen stehen lediglich acht Fahrradplätze zur Verfügung –, hatte Jens sein Faltrad mitgenommen. Untergebracht waren wir in einem Hotel in Berlin-Moabit, so dass zum Radeln nur Tagesgepäck benötigt wurde. Im Hotel konnten wir die Räder aufs Zimmer mitnehmen, denn der Aufzug war groß genug für den Radtransport und auch die Zimmer waren geräumig.

Bei herrlichem Wetter und strahlend blauem Himmel führte uns Jens am 1. Tourtag auf dem bestens beschilderten Weg Richtung Nordwesten. Vorbei am historischen Invalidenfriedhof aus dem frühen 19. Jahrhundert und dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal, vorbei am Mauerpark bis zur Bösebrücke und dem früheren Grenzübergang Bornholmer Straße. An diesem Grenzübergang wurde am 9. November 1989 Geschichte geschrieben, war er doch der erste von sieben Grenzstationen, die wegen des Ansturms der Ostberliner nach der Aufhebung der Reisebeschränkungen geöffnet worden war. Viele Plakate mit großformatigen Fotos illustrieren anschaulich die damalige Aufbruchstimmung und den riesigen Andrang neugieriger Ostberliner. Wir folgten weiter den Bodenmarkierungen, die rund um die Stadt den Mauerverlauf symbolisieren. Eine ganze Weile radelten wir durch Innenstadtquartiere, erst in Lübars wich die städtische Bebauung ländlicheren Gefilden. Lübars ist ein typisch märkisches Angerdorf mit großzügigen landwirtschaftlich genutzten Wiesen und Weiden und gehört zum weitläufigen Berliner Stadtgebiet. Der Weg setzte sich fort über Glienicke zu einem Wachturm in Hohen-Neudorf, der zu DDR-Zeiten mit Grenzsoldaten besetzt war, um Ostberliner an der Republikflucht zu hindern. Weiter ging es an Heidelandschaften vorbei bis zum Nieder-Neuendorfer See, einem Teil der Havel mit trubeligem Yachthafen. Um den aufkommenden Hunger stillen zu können, suchten wir eine zünftige Hütte mit Terrassenbetrieb auf. Frisch gestärkt informierten sich einige anschließend im als Museum eingerichteten Grenzturm Nieder-Neuendorf über die noch original erhaltenen Überwachungsvorrichtungen. Andere sprangen in den kalten See, um putzmunter von dort wiederaufzutauchen. Feld, Wald und Wiesen kennzeichneten den nun folgenden Wegabschnitt, immer wieder unterbrochen durch Infotafeln am Wegrand oder Gedenktafeln für bei Fluchtversuchen getötete Ostberliner. Auch an der Westberliner Exklave Eiskeller – einer von insgesamt drei Exklaven – führte der Weg vorbei. Auf diesem komplett von Ostberlin umschlossenen Areal bewirtschafteten drei Westberliner Familien ihre Bauernhöfe. Über eine nur 4 m breite und 800 m lange Zufahrt konnten sie auf Westberliner Gebiet gelangen. Kurz darauf passierten wir den Groß-Glienicker See, um schließlich an einem Fähranleger in Kladow direkt am Wannsee Halt zu machen. In der Abendsonne erlagen wir der Verlockung einer Einkehr in einem der Terrassenlokale. Gestärkt reihten wir uns in die endlos scheinende Warteschlange für die Fährüberfahrt zum Stadtteil Wannsee ein. Nach der 30-minütigen Überfahrt bestiegen wir dort die S-Bahn, um zurück in die Innenstadt zu unserem Quartier zu fahren.
Haus der Wannseekonferenz und Liebermann-Villa
2. Tourtag: Nach dem Frühstück fuhren wir mit der S-Bahn zum Endpunkt unserer gestrigen Fahrt am Wannsee. Bedeutende historische Bauwerke markierten unsere Radroute: das Haus der Wannsee-Konferenz, in dem am 20.1.1942 Spitzenbeamte des NS-Regimes die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung planten, sowie die Villa des berühmten Malers Max Liebermann. Durch einen weitläufigen Wald führte der Weg vorbei an einer Bootsanlegestelle mit Überfahrmöglichkeit zur idyllischen Pfaueninsel mitten in der Havel, mit Gartenanlage und Lustschlösschen aus dem 18. Jahrhundert. Später weitete sich der Blick auf die markante Heilandskirche am gegenüberliegenden Havelufer, welche zwar an eine frühchristliche Basilika erinnert, jedoch erst 1840 erbaut wurde. Schon kurz darauf passierten wir die Glienicker Brücke, die die Havel überquert. Die Brücke hatte als Grenzübergang von Westberlin nach Potsdam fungiert – ausschließlich für hochrangige Militärs und Diplomaten. Ihren Nimbus als Agentenbrücke erhielt sie 1962 durch den Austausch eines KGB-Agenten gegen einen amerikanischen Piloten.
mitte: Auf den Spuren der Berliner Mauer, hier vor einem der Grenztürme
rechts: Plakat am ehemaligen Grenzübergang Bornholmer Straße
Ein kleines Open-Air-Café im noblen Stadtteil Klein-Griebnitz bot sich für eine Eis-, Kaffee- und Wohlfühlpause an, bevor es weiterging über den ehemaligen Grenzübergang Kohlhasenbrück und entlang des Königswegs durch ein Naturschutzgebiet. Wir passierten den Checkpoint Bravo am Grenzübergang Drewitz mit Grenzturm und Erinnerungsstätte, bevor wir in Teltow wieder städtischeres Gebiet erreichten. Dort suchte Jens online nach einer Lokalempfehlung mit guten Bewertungen. Patricks Grüne Bude sollte unser Ziel sein, und nach längerer Suche über einen Single Trail landeten wir überraschend in einem Gewerbegebiet. Das Lokal entpuppte sich als Truckerstop, untergebracht in einem Frachtcontainer. Gerade noch rechtzeitig vor Küchenschluss bestellten wir rustikale Speisen in Truckerportionen. Wieder zurück auf dem Mauerradweg erfreuten wir uns an einer zauberhaft rosa blühenden Allee mit 1.100 japanischen Kirschbäumen, angeblich der längsten Kirschbaumallee in ganz Berlin und Brandenburg. Weiter ging es vorbei an den südlichen Stadtteilen Marienfelde und Lichtenrade bis zur Gropiusstadt, der Großwohnsiedlung des Bauhaus-Architekten Walter Gropius mit über 90 Prozent Sozialwohnungsanteil und Platz für 50.000 Menschen. Dunkle Wolken zogen auf und so beschlossen wir, den Rest des Weges in die Innenstadt mit der Bahn zurückzulegen. Am Ausstieg aus der Bahn überraschte uns dann doch noch ein Gewitterschauer. Wir verabredeten uns zum Abendessen in einem asiatischen Lokal unweit des Hotels.
Checkpoint Charlie und East-Side-Gallery
3. Tourtag und Heimfahrt: Der ganze Tag stand zur Verfügung, da die Rückfahrt erst am Abend geplant war. So sattelten wir erneut die Räder, um diesmal das Regierungsviertel zu erkunden. Vorbei am Hauptbahnhof führte uns der Mauerradweg zum Berliner Reichstag, dem Pariser Platz mit Brandenburger Tor und zum beeindruckenden Holocaust-Denkmal. Von dort war es nicht weit zum belebten Potsdamer Platz mit seinen markanten Hochhäusern, Shopping Malls, aber auch Mauerfragmenten zur mahnenden Erinnerung. Bald darauf war eindrucksvoll zu sehen, wie rücksichtslos die Mauer durch Wohngebiete gezogen worden war, mit Ostberliner Häusern, deren zum Westen zeigende Fenster zugemauert werden mussten. Schon bald kam der berühmte Checkpoint Charlie in Sicht, der Grenzübergang, der zu Zeiten der Teilung vom US-amerikanischen Militär überwacht wurde.
Im Stadtteil Friedrichshain passierten wir die weltberühmte East Side Gallery. Dieses eindrucksvolle Freilichtkunstwerk – das längste zusammenhängende und erhalten gebliebene Stück der Mauer – war kurz nach der Wiedervereinigung von 118 Künstlern aus 21 Ländern mit Graffiti bemalt worden. Jeder Künstler drückte auf seine Art die Freude über den Fall der Mauer aus. Kurz darauf querten wir die Spree auf der Oberbaumbrücke und waren damit in Neukölln angekommen. Ein kleines französisches Bistro bot genau die Speisen, nach denen es uns verlangte, auch wenn es für ein Mittagessen noch relativ früh war.
Ausgeruht durchquerten wir das lebhafte Kreuzberg und fuhren zum Flughafen Tempelhof. Heute dient der Flugplatz als Freizeitanlage. Muskelbetriebene Fahrzeuge nutzen die endlosen Längen der Rollbahnen. Bestaunt werden konnte dort das spöttisch auch „Hungerharke“ genannte Luftbrückendenkmal zur Erinnerung an die fast ein Jahr andauernde Blockade Westberlins durch die sowjetische Besatzungsmacht zwischen 1948 und 1949. Mit der Luftbrücke aus Flugzeugen der Westalliierten, im Volksmund „Rosinenbomber“ genannt, wurde die Westberliner Bevölkerung in der Blockadezeit versorgt. Das Pendant des Denkmals befindet sich am Frankfurter Flughafen. Am Ende des Trips machten wir an der Gedenkstätte der Berliner Mauer an der Bernauer Straße halt, einem Besucherzentrum mit tiefen Einblicken in Einzelschicksale, zur Entwicklung der Grenzanlagen seit Gründung der DDR und zu politischen Ereignissen.
Zu guter Letzt holten wir unser Gepäck im Hotel und fuhren zum Hauptbahnhof, um den ICE nach Hause zu nehmen. Am Ende standen 200 gefahrene Kilometer auf dem Tacho, bei minimalen Höhenmetern. Die vielen Eindrücke bei dieser Tour durch die ehemals geteilte Stadt werden uns sicher noch lange beschäftigen.