Die Innenstadt ist nahezu autofrei
In Oslo ist die Verkehrswende bereits zu besichtigen
Was machen die Nordeuropäer besser? Amsterdam, Utrecht oder Kopenhagen gelten als Fahrradhochburgen schlechthin, in Helsinki feierte man gerade das erste Jahr ohne tödlich verlaufenen Verkehrsunfall, und in Oslo ist die Innenstadt nahezu autofrei. Als Radenthusiast lässt mich auch im Urlaub mit Bahn, Bus, Schiff und zu Fuß der Radverkehr nicht los. Deshalb hier einige verkehrspolitische Eindrücke aus der norwegischen Hauptstadt.
Unser erster Tag in Oslo ist ein Sonntag, und die halbe Innenstadt ist wegen eines Radrennens gesperrt. Das schränkt den Autoverkehr naturgemäß ein, die Stadt ist ruhig. Das ändert sich am darauffolgenden Montag etwas. Der Berufsverkehr setzt ein, auch in der City. Kleine Pulks von Radfahrenden sausen auf der Rådhusgata vorüber, dazwischen immer wieder zwei, drei Autos, die ebenfalls gen Innenstadt streben. Der Radverkehr dominiert eindeutig, zumeist recht sportliche Norweger:innen fahren zur Arbeit, zur Kita oder zur Schule, auf überraschend ruhigen Straßen. Später dann fällt uns auf, dass in den Straßen etwas fehlt: Es gibt keine parkenden Autos am Straßenrand. Dafür aber Gehwege, auf denen wir als zu Fuß gehende ungestört nebeneinander flanieren können, ohne uns immer wieder an Autos vorbeidrängen zu müssen. Wie geht so etwas, in einer Stadt so groß wie Frankfurt und dabei als Hauptstadt auch noch das wichtigste Zentrum des Landes?
Auch die Norweger:innen besitzen Autos und fahren damit. In der Osloer Innenstadt aber kommt die Bevölkerung häufiger ohne Autobesitz aus, kommt mit Bus und Bahn voran oder geht zu Fuß durch die Stadt. Da schien es sich anzubieten, mit Ideen zu einer veränderten Verkehrspolitik hier zu beginnen.
Wesentliche Ziele* waren dabei:
- Reduzierung des Autoverkehrs in Oslo um 20 % bis 2019 und um 33 % bis 2030 (Basisjahr: 2015)
- Priorisierung von Fußverkehr, Radverkehr und öffentlichem Verkehr gegenüber Pkw-Verkehr. Der Radverkehr soll im Jahr 2025 25 % des gesamten Verkehrs ausmachen.
- Neu- und Umverteilung des öffentlichen (Straßen-)Raums zu Gunsten von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden; Möglichkeiten für soziale Aktivitäten durch neue Aufenthaltsflächen; Nutzung für Kunst- und Kulturveranstaltungen und mehr Stadtgrün.
- Errichtung eines lückenlosen Radwegnetzes von Ost nach West und Nord nach Süd.
Voraussetzung dafür war jedoch die Entfernung des Durchgangsverkehrs. Entlang der alten Hafenanlagen verlief eine autobahnähnliche Schneise, die die Innenstadt vom Fjordufer trennte. Im Zuge einer Neubebauung der ehemaligen Kaianlagen mit Wohnvierteln, Museen, Opernhaus, Bibliothek und Bürotürmen wurde die Stadtautobahn unter die Erde bzw. unter das Wasser verlegt. Damit war der Durchgangsverkehr weg, nur einige Rampen aus diesem Tunnelsystem münden in die City. Denn auch weiterhin fahren nicht alle Norweger:innen mit dem Rad zur Arbeit, viele nutzen die Straßenbahn oder auch das Auto. Und so unterbrechen, siehe oben, immer wieder Kraftfahrzeuge den Strom der radfahrenden Pendler:innen.
rechts: Auf dem Weg nach Hause in Oslos östliche Wohnquartiere dominiert der Radverkehr das Straßenbild
Autos können weiterhin in der Innenstadt abgestellt werden, doch wurden von den rund 900 Straßen-Parkplätzen im Zeitraum 2017 bis 2019 760 entfernt (die in den Parkhäusern aber erhalten). Allein dadurch stieg die Aufenthaltsqualität in der Stadt erheblich, auch der Radverkehr erhielt mehr Raum. Auch außerhalb der inneren Stadt gingen Parkplätze dann verloren, wenn sie dem Ausbau von Radwegen im Weg standen.
Nun zurück zum subjektiven Eindruck des Touristen: Die Hafenfront ist spektakulär bebaut, Straßenbahnen und Busse verkehren im Minutentakt und überall finden sich stationäre Halteplätze für Leihräder. Ein gutes Beispiel liefert der Platz vor dem Hauptbahnhof. Hier treffen am Fjordufer Öffentlicher Nahverkehr, Überseefähren, Leihräder und ein Kinderspielplatz zusammen.
Die Fahrradinfrastruktur bleibt jedoch hinter der in Frankfurt zurück. Die roten Streifen auf der Straße sind oft schmal, in Teilen der City teilen sich Straßenbahn und Radverkehr die Straße, und auf dem schönen Rad- und Spazierweg entlang des Flusses Aker, der mitten durch die Stadt fließt, ist die Lage kaum angenehmer als an der Nidda. Und trotzdem fahren die Osloer:innen Rad. In Massen, ist unser Eindruck, nachdem wir im Feierabendverkehr erste Zählungen vorgenommen hatten. 20 Räder, auch 30, manchmal gar 40 warten vor der roten Ampel, die Grünphase ist kaum lang genug, um beim Massenstart allen die Fahrt über die Kreuzung zu ermöglichen (trotz auch hier recht lockerer Auslegung der Verkehrsregeln). Die Radstreifen sind kaum breit genug für die Vielen, die sich radelnd auf dem Heimweg befinden. Da tritt der Fuß-Tourist ehrfürchtig zur Seite.
Auch außerhalb der verkehrsberuhigten City wird Rad gefahren, hier aber auch Auto. Dort sieht es dann aus, wie wir es gewohnt sind: Die Straßenränder sind zu Parkplätzen geworden. Doch sind die Straßen in Oslos bürgerlichen Vierteln breiter angelegt als im Frankfurter Nordend. So kommt man auf den Gehwegen dort noch gut voran.
Am Sonntag darauf sind wir in Stavanger, der Ölmetropole Norwegens. Wegen eines Radrennens ist auch hier die halbe Innenstadt gesperrt. Radbegeistert ist man offensichtlich überall.
* Zahlen und Informationen sind einem Fact Sheet des Umwelt-Bundesamtes entnommen: adfc-ffm.de/=Zmzg