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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

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NuTec 16 –
Die revolutionäre Federspeicher-Schaltnabe

Die Redaktion hat in der vorletzten Ausgabe bloß eine Pressemitteilung des Herstellers veröffentlicht. Leider war ihr noch nicht bekannt, dass ein frankfurt aktuell-Leser aus erster Hand berichten kann.

Ich bin seit gut drei Jahren an der Entwicklung der Schaltung beteiligt, in Sachen Konstruktionsberatung und als Testfahrer. Dafür bin ich besonders geeignet, weil unter meinem ultraharten An- und Dauerwiegetritt (den Sattel montiere ich nur, damit es nicht in den Rahmen regnet) bisher jede Schaltung schnell kaputtging – außer dem letzten Prototypen der NuTec 16, der nun schon 17.000 km hält. Damit ist der Nachweis erbracht, dass sie praktisch unkaputtbar ist.

Es war übrigens nicht einfach, zwecks Vermeidung von Industriespionage die Testnabe so zu kaschieren, dass sie wie eine normale Shimano-Kettenschaltung aussah. Die war auch angebaut, unter Beobachtung (ADFC-Touren) musste ich halt bergauf und -ab bisweilen so tun, als würde ich damit schalten. Es scheint keiner was gemerkt zu haben.

Deshalb geizte auch die Pressemitteilung in der vorletzten Ausgabe noch mit Infos und glänzte dafür mit Desinformation. Z. B. dürfte einigen Lesern nicht gegangen sein, dass die mitgelieferte Schnittzeichnung eine ordinäre Dreigangnabe zeigte - eine Vorsichtsmaßnahme, die Chinesen sind überall, fotografieren und lesen alles (auch FRANFURT aktuell), um es baldigst nachzubauen.

Das ist nun vorbei: Sämtliche Patente sind unter Dach und Fach, und Herr Plausbilitzki, Geschäftsführer von NuTec in Sindelfingen, hat den Abdruck der folgenden Infos genehmigt.

Der Nabenkörper und die Achse sind aus einem neuen High-Tech-Werkstoff namens Oximoran® von DuPont, der bisher nur für geheime Rüstungsprojekte verwendet wurde. Ein CNC-vakuumgehärteter Sinterfaserverbundverstoff, der u.a. Hanf, Titan und Lupinium enthält. Die Oberfläche ist glatter als Teflon oder gewachstes Glas: Die Nabe muss nicht geputzt werden, es bleibt schlicht kein Dreck dran hängen. Das Material ist so schwer wie ordinäre Carbonwerkstoffe, dafür deutlich fester. Der Nabenkörper lässt sich nicht mal mit der Flex aufschneiden.

Wie man die Nabe öffnet, weiß nur der Hersteller (und ich natürlich). Das ist aber auch nicht nötig, weil sie wartungsfrei und hochbelastbar ist (z.B. Tragkraft der Achse: 6,5 to.). Zum Austausch der Verschleißteile muss die Nabe eingeschickt werden. Der Wartungsdienst ist gratis, NuTec trägt auch die Material- und Portokosten. Bei den riesigen Wartungsintervallen (Normalbetrieb alle 200.000 km bzw. 25 Jahre; bei Renneinsatz, Tandems und Lastenrädern alle 100.000 km / 15 Jahre) kein Kostenproblem für die Firma. Die geht davon aus, dass auch Vielfahrer diese Laufleistungen selten erreichen, weil sie spätestens nach ein paar Jahren auf die dann aktuellen NuTec-Schaltungen umsteigen, die viel mehr können werden.

Die Schaltung bietet 16 gleichmäßig gestufte Gänge. Im Unterschied zur schnöden hessischen Konkurrenz werden drei Versionen geboten, mit Schaltspannen von 300, 500 und 800 Prozent. Die NuTec 16/300, mit 7,6%-Gangstufen und einem Systemgewicht von 870 Gramm, ist die erste rennradtaugliche Schaltnabe. Sie ist bei der diesjährigen Tour de France an den Rädern von mindestens zwei Teams zu sehen. Die 16/500 ist für den Normalbetrieb optimiert, die /800 für Liegeradler und andere, die trotz guter Kriechgänge bergab richtig schnell werden wollen.

In der Nabe steckt ein hydraulisches Kugelumlauf-Trabantengetriebe, das elektropneumatisch bedient wird. Den Strom liefert ein Knopfzellen-Akku, der bei Bedarf von einem winzigen integrierten Dynamo geladen wird. Dieser hat einen Wirkungsgrad von 100%, weil er sich nur beim Bremsen zuschaltet – gesteuert vom ebenfalls integrierten Microcomputer, der, neben vielen anderen Funktionen, die Verzögerung misst.

Außen am linken Nabendeckel sitzt ein 30-ml-Spezialöltank, der an Tintendruckpatronen erinnert. Die Innereien der Nabe brauchen sehr sauberes Öl, das in winzigen Mengen kontinuierlich nachgefördert wird. Verlustschmierung also, aber eine sehr umweltfreundliche: Das leicht verschmutzte „Altöl“ dient der Kettenschmierung. Ein Vibrationssensor registriert, wenn die Kette Schmierstoff braucht, der dann exakt dosiert und optimal verteilt durch Labyrinthkanäle im Ritzel zugeführt wird. Das allerdings relativ selten, weil sich das (biologisch abbaubare) Spezialöl viel langsamer auswäscht als gewöhnliche Kettenschmierstoffe. Vorteile: Nie mehr Kette schmieren! Und die Ketten halten gut doppelt so lang wie bei guter konventioneller Handschmierung.

Der Ölvorrat hält durchschnittlich etwa 25.000 km. Dann wird die Patrone ausgewechselt (Steckfassung, ein Handgriff, ohne Werkzeug). Sie wird etwa 8 Euro kosten, plus 2 Euro Pfand.

Bedient wird die Schaltung von einer Telefontastatur am Lenker, die auch ein Display enthält, das neben den üblichen Funktionen besserer Fahrradcomputer (u. a. Ganganzeige, Höhenmeter, Steigung, Herzfrequenz, Temperatur usw.) die Schmierstoffreserve und die Jahre und Kilometer bis zum nächsten Wartungsdienst anzeigt. Der gewünschte Gang kann über die „IntelliDial“-Tastatur eingegeben werden (z.B. „12“ für den 12. Gang). Daneben gibt es natürlich ein-Gang-runter/hoch- und zwei-Gänge-runter-hoch-Tasten. Plus Wahlwiederholungstasten für die zwei zuletzt genutzten Gänge, plus vier programmierbare Tasten für die individuell am häufigsten gebrauchten (z. B. Anfahrgang in der Ebene). Gespeist wird das Gerät von einem Longlife-Akku, der bei Bedarf vom Dynamo der Nabe geladen wird – natürlich auch verlustfrei, nur beim Bremsen. Steuerung und Ladestrom werden drahtlos übertragen, es gibt kein Kabel im System, geschweige denn einen Schaltzug. Das (wegen der Tastaturergonomie) zigarettenschachtelgroße Steuergerät wird bequem mit dem Zeigefinger bedient, ohne die Hand vom Lenkergriff zu nehmen. Es wird eine GPS-Erweiterung per Steckkarte geben, die etwa 160 Euro kosten soll.

Nun zum größten Clou des Systems, dem Federspeicher in der Nabe. Er wird bei Bergabfahrt und beim Bremsen automatisch „geladen“. Das reduziert einerseits den Bremsbelagverschleiß immens. Andererseits kann die gespeicherte Energie, z. B. bergauf oder zum zügigen Überholen, auf Knopfdruck aktiviert werden. Es gibt zwei Modi, „F“ (FeMo=Federmofa) und „U“ (Unterstützung 50%). Der Wirkungsgrad ist mit „über 80%“ vorsichtig angegeben. Er hängt vor allem von der Schmierstoffzusammensetzung ab, mit der wir noch experimentieren. Meine Standardteststrecke: Auf den Altkönig, dort Feder entspannen, runter zur Nidda – und im FeMo-Modus (ohne Mittreten) wieder hoch, bis der Speicher leer ist. Seit drei Wochen teste ich ein Öl, bei dem mir oben nur noch 39 bis 45 Höhenmeter fehlen. Boah eyh, rechnet euch mal die Wirkungsgrade aus ...

Aktuell in Entwicklung: Die NuTec 32/800 – 32 eng gestufte Gänge, 10-fach-Gangspanne. Das System soll, serienmäßig mit GPS bestückt, 2005 auf den Markt kommen.

PS: Wegen technischer Kleinprobleme (Befestigung des Logos am Nabenkörper) wurde die Markteinführung der NuTec 16 auf den 1. August verschoben. Eher ein gutes als ein schlechtes Zeichen: Gewissenhafte Entwicklungsarbeit, die kein Detail ohne Herz-und-Nierenprüfung dem Markt überlässt, braucht halt mehr Zeit als bei dem restlichen Ruckzuck-kaputt-Fahrradpofel, den wir sattsam gewöhnt sind. Außerdem liegt dadurch der Tour de France-Einsatz werbeträchtig direkt vor der Markteinführung.

Rainer Mai

8. Mai 2003 ADFC Frankfurt am Main e. V. |