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Ihr fahrt ja noch bio…!
Bummeltour durch Baden-Württemberg zum Bodensee
Einfach in Frankfurt auf’s Rad setzen, durch den Odenwald an den Neckar fahren, diesem flussaufwärts folgen bis Rottweil, dahinter zum Oberlauf der Donau wechseln und irgendwann am Bodensee ankommen. Mit überschaubaren Etappen, mit Zeit für Besichtigungen, mit Appetit auf Maultaschen, Spätzle, Kuchen. Gerne bei gutem Wetter. Daran fehlte es aber.
Von Frankfurt nach Babenhausen rollt es leicht, weiter nach Groß-Umstadt ebenfalls. Dass dort das Weinfest den Ort im Griff hat, wussten wir. Dass es äußerst schwierig ist, Groß-Umstadt an diesem Tag zu durchqueren, lernten wir schnell. Glücklich den Menschenmassen entlang des Festzugs entkommen, erwischt uns der Regen auf der steilen Rampe hinauf nach Otzberg und bleibt uns auch auf der langen Abfahrt ins Tal der Mümling erhalten. In Bad König ist es nass, leider auch am nächsten Morgen. Wir entscheiden uns für die Bahn und sind bereits früher als geplant am Neckar, im Städtchen Eberbach. Das stellt sich gleich als Vorteil dar, bleibt uns doch so noch der ganze Nachmittag zur Stadtbesichtigung, zur Wanderung auf den Ohrsberg mit einem Aussichtsturm, und zum Besuch des Cafés Viktoria, in dem die berühmte Viktoria-Torte, ein farbenfrohes, aber gut schmeckendes Monstrum aus Teig und Sahne, serviert wird. Da der Regen nach Kauf eines Schirms nachgelassen hatte, konnten wir mit dem Tag in Eberbach ganz zufrieden sein. Dass wir „noch bio“ unterwegs seien, wurde von der Wirtin gleich bemerkt.
Nicht nur von ihr. Fast jedes Gespräch mit Fremden beginnt mit „Ihr fahrt ja noch bio!“, mehrmals am Tag hören wir das. Und ja, bis auf wenige Ausnahmen treffen wir fast ausschließlich auf elektrisch unterstützte Radtourist:innen. „Die grüßen wir nicht!“ meint ein Schweizer Ehepaar resolut, das uns mit edlen neuen „Bio“-Reiserädern begegnet und sich freut, dass sie mit dieser Art des Reisens nicht alleine sind.
Die Türme von Bad Wimpfen sind vom Neckartalweg aus gut zu sehen. Ein steiler Weg führt hinauf in den Ort, wo wir durch einen alten Torbogen in die Altstadt gelangen. Bad Wimpfen wurde just an diesem Tag von einem Online-Reiseportal zur schönsten Altstadt Deutschlands gekürt. Wohl zu Recht, wie wir nach einem Rundgang durch die Gassen meinen. Bestätigt finden wir unseren Eindruck auch nach Besteigung des Blauen Turms, der einen Blick über die mittelalterliche Dachlandschaft ermöglicht. Drei Euro kostet der Eintritt, zu zahlen oben bei der Türmerin, die uns vor ihrer Türmerinnenstube begrüßt. Seit fast 30 Jahren lebt sie hier oben, und nachdem die Kinder aus dem Haus (wohl besser „aus dem Turm“) sind, findet sie die kleine Wohnung über der Stadt ganz komfortabel. Mit ihren über 70 Jahren geht sie nicht mehr täglich die Stufen hinab, das eine oder andere besorgen Freunde. Die müssen dann nur bis zu einem Zwischengeschoss im Turm steigen. Dort hilft ein per Handkurbel betriebener Lastenaufzug, auch einen Kasten Bier in die Türmerinnenstube zu hieven.
Die schönste Altstadt
Deutschlands
Ein Gasthof wirbt mit einer Vielzahl von Maultaschen-Varianten. Wir halten das für landestypisch und bestellen. Die Maultaschen schmecken gut, die Portionen sind groß, wir sind zufrieden. Doch sind wir die einzigen Gäste, die landestypisch essen. Alle anderen im Maultaschenwirtshaus bestellen Schnitzel mit Pommes. Auch das sicherlich landestypisch.
Am Rathaus prangt neben dem Wappen von Baden-Württemberg der rot-weiße hessische Löwe. Bad Wimpfen war lange eine hessische Exklave, wurde erst 1952 in den Landkreis Heilbronn übernommen und damit von Hessen getrennt.
Am nächsten Morgen verlassen wir die Stadt bei Regen. Unser Tagesziel Marbach, das wir auf idyllischen Radwegen zwischen Fluss, Weinbergen und Kraftwerken zu erreichen hofften, bleibt erhalten, die geplante Fahrt dorthin aber nicht. Wir besteigen den Zug nach Ludwigsburg und steigen dort in die S4 nach Marbach. Frau Morlock vom Hotel, der wir unsere frühere Ankunft avisiert hatten, bittet darum, vom Bahnhof aus anzurufen. Ihr Mann sei dann in fünf Minuten am Hotel. Marbach ist „Schillerstadt“, der große Dichter kam hier zur Welt. Vom Bahnhof rollen wir auf der Schillerstraße in die Stadt, passieren Schillers Geburtshaus und sehen bald Herrn Morlock vor dem Hotel Schillerhof aus seinem Wagen steigen. „Sie fahren ja noch bio!“, bemerkt er, bevor er die Schuppentüre hinter unseren Rädern verschließt.
Kurz darauf, wir haben Regenschirme des Hotels entliehen, spazieren wir zur Schillerhöhe, auf der das Deutsche Literaturarchiv zwar geschlossen, das Café aber geöffnet hat. Der sonst wohl weite Blick von der Terrasse des Literaturarchivs reicht heute gerade hinunter bis zum Neckar oder hinüber zum Schlot des Kraftwerks. Auch Schiller steht im Regen, unbeschirmt im Zentrum der Parkanlage Schillerhöhe als Standbild auf hohem Sockel.
Marbachs geschlossene Altstadt ist hübsch und wirkt gut gepflegt. Etwas bedrückend finden wir ein Kriegerdenkmal. Zwei übergroße, martialisch aussehende Soldaten, direkt an die Mauer des alten Stadttores in Stein gemeißelt, erinnern an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Darunter ein Hinweisschild, dass dieses Werk 1934 von den Nationalsozialisten errichtet wurde. Weniger bedrückend wird die Anlage durch diese Information nicht.
Wir nähern uns Stuttgart, der Neckarradweg führt durch Kraftwerke und Gewerbegebiete, aber auch entlang von Weinbergen und Kleingärten. Die Beschilderung der Radrouten ist vorbildlich, auch Umleitungen sind durchgehend nachvollziehbar. Dass wir trotzdem hin und wieder unschlüssig vor einer Abzweigung stehen, liegt auch daran, dass viele Wege nach Ludwigsburg führen, wir aber gar nicht dorthin wollen. Esslingen ist das Tagesziel.
Vor Stuttgart setzt der Regen wieder ein. Dank bester Radwege rollen wir entspannt in Regenkleidung (es ist kalt genug, um nicht ins Schwitzen zu geraten) durch das Chaos der Baustellen, Straßenbahnschienen, Schnellstraßen und Bahnprojekte. Esslingen ist inzwischen ausgeschildert, und vom Neckardamm sehen wir die Bierzelte und das Riesenrad auf dem Cannstatter Wasen. Kurz darauf folgen die ausgedehnten Werksanlagen von Mercedes-Benz, deren Zaun immer wieder von Mitarbeitertoren unterbrochen wird, hinter jedem eine große Fahrradabstellanlage, trotz des miesen Wetters oftmals gut gefüllt. Am Ende des Werksgeländes verlieren wir zwischen Bürohäusern und mehrstöckigen Parkgaragen kurzzeitig die Orientierung. Im Regen mit Smartphone und Landkarte wieder auf den richtigen Weg zurückzufinden, gelingt uns dann doch, so dass wir kurz darauf uns und unsere Räder ins trockene Quartier bringen können. Die Hotelmitarbeiterin stellt fest, dass wir „bio“ unterwegs sind.
Weinseligkeit und Industrie liegen dicht beieinander
Esslingen hat sich hinter Gewerbegebieten und alten Industriegebäuden eine überraschend hübsche Altstadt bewahrt. Hinter dem Fachwerk steigen die Weinberge steil empor, in der Touristinformation wird Esslinger Wein verkauft, in der Altstadt sehen wir Weinstuben – wo sonst liegen Weinseligkeit und Großindustrie so dicht zusammen wie hier im Schwäbischen? Im Park am Neckarufer lädt die Villa Merkel zu einer Führung durch die aktuelle Skulpturenausstellung. Oskar Merkel war Textilfabrikant und hat sich die Villa 1873 bauen lassen. Heute wird das sehenswerte Gründerzeit-Gebäude von der Stadt Esslingen für Ausstellungen genutzt.
Morgens, beim Frühstück, gehen wir optimistisch in den Tag. Die Wetterprognosen aller von uns befragten Dienste rechtfertigen das. Handschuhe und Socken sind im Hoteltrockner nicht eingelaufen, wir können starten. Der Neckarweg ist hier nicht überall durchgehend asphaltiert, sondern mit einer wassergebundenen Decke versehen. Diese Decke hat im Regen gelitten, wie sich unschwer an unseren Fahrrädern erkennen lässt. Am Nachmittag, in Tübingen, wird uns der Wirt des Gasthofes mit einer dicken Rolle Küchenpapier versorgen, so dass wir den gröbsten Dreck entfernen können. Aber vorerst durchqueren wir Plochingen, wechseln dort auf die (in Fließrichtung) linke Neckarseite, bewundern bei Wendlingen die neuen Brücken der im Bau befindlichen Schnellstrecke Stuttgart-Ulm der Deutschen Bahn, verlassen das Neckarufer in Nürtingen und erholen uns von Kälte und Feuchtigkeit in einer Bäckerei. In Nürtingen verzichten wir angesichts steiler Sträßchen und Treppen auf einen Altstadt-Rundgang und entschuldigen uns damit, dass wir in Tübingen Stadtrundgänge ausführlich nachholen werden. Also bald Weiterfahrt auf wassergebundener Decke, später auf guter Asphaltpiste, oftmals leider nahe einer Schnellstraße.Doch Tübingen rückt näher, was selbst unter den tiefhängenden Wolken stimmungsaufhellend wirkt.
In Tübingen sind wir an einem Freitag angekommen. Bei der Reiseplanung hatten wir über die Hotelpreise in der Universitätsstadt gestaunt, vor allem aber darüber, dass fast alle Hotels ausgebucht waren. Im Vorort Lustnau fand sich dann doch noch ein Zimmer, das unserem Budget entsprach, weit ab von der Innenstadt. Doch auch in Tübingen gibt es Stadtbusse, auch in Lustnau liegen Haltestellen, eine davon direkt vor dem Hotel, von der die Busse mindestens zweimal pro Stunde direkt in die Altstadt fahren. Samstags sogar kostenlos, wie uns der Hotelier erklärt. Wer nimmt da noch das mit Küchenpapier geputzte Fahrrad, um auf den perfekt angelegten Radrouten die wenigen Kilometer in die Stadt zu fahren? Kaum jemand, der Bus ist rappelvoll. Auch mit anderen Gästen des Hotels, die nach Lustnau ausgewichen sind. Warum? Die Website der Stadt sagt es uns: In Tübingen findet am Wochenende das Bücherfest statt, mit Lesungen an und in allen möglichen Orten, von vielen bekannten oder weniger bekannten Literate:innen. Deshalb auch erinnert die Hotelauslastung an Frankfurt während der Buchmesse. Und wer denkt schon, sich der Stadt gemächlich im weiten Neckartal nähernd, daran, dass Stuttgarts Flughafen und Messe nur eine gute halbe Autostunde vom altehrwürdigen Tübingen entfernt liegt? Auch das schlägt sich sicherlich in den Preisen der Hotellerie nieder.
Hölderlin hat hier direkt am Neckar gelebt
Die Stadt selbst ist natürlich einen Besuch wert, ob mit oder ohne Bücherfest. Große Gruppen werden von Stadtführer:innen durch die Gassen geschleust oder am Neckar über das pittoreske Altstadtpanorama informiert. Dort, oberhalb der Anlegestelle für die Stocherkähne, ist der Turm zu sehen, in dem der Dichter Hölderlin viele Jahre seines Lebens verbracht hat. Heute beherbergt der Turm ein hübsches kleines Museum, in dem uns Hölderlin und seine Zeit erklärt werden. Die großen Besuchergruppen verzichten glücklicherweise auf den Museumsbesuch, und so teilen wir uns den Turm mit wenigen anderen und können uns in Ruhe der Zeit vor rund 200 Jahren widmen. Durch einen Film, in dem auf der Terrasse des Literaturarchivs in Marbach aus Hölderlins Werken vorgelesen wird, erfahren wir, wie weit dort der Blick übers Land reichen kann, wenn das Wetter gut ist (siehe oben).
Wem nach dem Museumsbesuch nach Kaffee und Kuchen ist, muss in Tübingen nicht lange suchen. Wir sind in der Ammergasse fündig geworden. Ein Genuss, auch optisch (siehe Foto)!
Eine kleine Wanderung aus der Altstadt zurück nach Lustnau führt über den Österberg mit einem Aussichtsturm. Leicht verschwitzt am Turm angekommen, erfahren wir, dass der Schlüssel zum Turm in der Tourist-Info, unten am Neckar, liege und dort entliehen werden kann. Wir verzichten, werden aber immerhin mit einem Blick über die neueren Stadteile belohnt, die sich an den Hängen hinaufziehen.
Am Sonntagmorgen durchqueren wir die jetzt ruhige Altstadt, rollen durch den Schlossbergtunnel aus ihr heraus und machen Halt an der neuen Fahrradbrücke hinter dem Hauptbahnhof. Elegant schwingt sich das Bauwerk über die Gleise der Bahn, mit einer (auch bio!) befahrbaren Steigung, mit Einfädelspuren und kleinen Kreiseln an den Enden – so geht Radverkehr in Tübingen. Neun Millionen soll sie gekostet haben, mit einem anderen Bürgermeister hätte man sicherlich eine günstigere Lösung gefunden, moniert ein Leserbriefschreiber in der Lokalzeitung. Der Bürgermeister ist der nicht ganz unumstrittene, aber engagierte Boris Palmer, dem wir auch die kostenlose Busfahrt am Samstag verdanken. Wir überlegen derweil, was wohl das breite Betonmonster neben der Radbrücke, auf dem Autos auf vier Spuren die Bahn überqueren, gekostet haben mag, und suchen uns danach die Fortsetzung des Neckarradwegs, heute bei Sonne, aber weiterhin frischen Temperaturen.
In Rottendorf trinken wir einen Espresso, werden von zwei Rennfahrern gebeten, ein Foto von ihnen vor dem Domportal zu machen, und fahren anschließend weiter nach Horb, immer entlang der Bahnlinie.
Die alte Stadt liegt oben über dem Neckar, eine lange Häuserzeile ragt aus den Felsen empor. Aber auch unten findet sich ein Café. „Alles besetzt“, heißt es an diesem Sonntag, „aber draußen ist noch Platz“. „Draußen“ ist ein schmaler Balkon mit zwei winzigen Tischchen direkt über einem Neckar-Kanal, mit Blick auf eine alte Häuserzeile. Am Nachbartisch ist von „Klein-Venedig“ die Rede, wie so oft, wenn Wasser an ein paar Häusern vorbeifließt. Wir halten den Begriff hier für etwas übertrieben, finden aber auch Gefallen an der Lage – und am Kuchen.
In Sulz biegen wir falsch ab, merken dies aber schnell. Während wir unschlüssig an der Straße stehen, nähert sich eine alte Dame. Wohin wir wollten, die Ortsmitte läge dort drüben, der Gasthof Lamm gleich am Marktplatz, aber wir könnten doch auch erst auf ein Bier mit zum Kulturhaus gehen. Dort sei heute ein Fest, sie wolle nachsehen, wer da ist. Wir lehnen freundlich ab und bedanken uns für die Auskunft. „Ja, so ist das heute. Die Frau hat die Landkarte, und der Mann schaut aufs Handy.“ gibt sie uns in breitem Dialekt noch mit auf den Weg, bevor sie zum Kulturhaus spaziert.
Wir finden das „Lamm“ (die Wirtin stellt fest, dass wir „noch bio“ fahren), sehen vorher drei leerstehende Gaststätten, ein italienisches Restaurant, einen Döner-Imbiss sowie eine griechische Taverne und finden dann – im Lamm wird nicht mehr gekocht – zum „Hecht“ mit „gutbürgerlicher“ Küche. Die „Kässpätzle“ mit Salat lohnen einen Besuch.
Apropos Salat: In Schwaben ist die Salatschüssel gefüllt mit geraspelten Möhren und Sellerie, gewürfelter Rote Bete, Maiskörnern, Kartoffelsalat, Gurken- und Tomatenscheiben, Zwiebeln, auch Radieschen, alles gekrönt von frischen Salatblättern, über die vorsichtig Soße geträufelt wird. Reicht fast zum Sattwerden, kostet aber nicht mehr als ein schlichter hessischer Beilagensalat.
Von Sulz geht es weiter auf Wald- und Forstwegen, vorbei an desinteressiert schauenden Kühen, nach Oberndorf. In Oberndorf produziert die Waffenindustrie, hier lesen wir rheinmetall defense auf einer Halle, Heckler & Koch – protecting freedom auf dem Bus vor uns. Dass dies ein Schulbus ist, auf dem Mitarbeitende für die Waffenschmiede geworben werden, finden wir dann doch etwas irritierend. Die Schüler aber, die lärmend ein- oder aussteigen, wirken davon unbeeindruckt.
Auch Oberndorfs Altstadt liegt hoch oben über dem Tal, sodass wir einen schweißtreibenden Anstieg hinter uns haben, als wir vor einer Bäckerei Platz nehmen. Wieder hinunter ins Tal rollen wir zurück zu rheinmetall defense und zum Neckarradweg, der hinter der Stadt sehr schön durch weitläufige Wiesen und entlang der Eisenbahngleise verläuft.
Vor Rottweil ist der Radweg gesperrt, die Umleitung führt über eine steile Straße (16 % Steigung!) hinauf auf die Höhen, wir schieben fluchend. Dass auch der offizielle Radweg den Neckar vor Rottweil verlassen wird und nach oben strebt, wissen wir da noch nicht und ist uns deshalb kein Trost. Oben dann, in gut 700 Meter Höhe, ein weiter Blick über die Alb, der die Anstrengung schnell vergessen lässt. Bald taucht der schlanke TK-Elevator-Testturm vor uns auf, in dem Aufzüge getestet werden. Von der Plattform in über 200 Metern Höhe soll man einen fantastischen Rundblick haben, sie ist am Wochenende geöffnet. Wir erreichen Rottweil an einem Montag, „bio“, wie im Hotel festgestellt wird.
Rottweil ist bekannt durch den „Narrensprung“, ein Fastnachtsbrauch, über den Jahr für Jahr bundesweit berichtet wird. Aber auch außerhalb der Fastnachtssaison kann man die „herrliche Kulisse von stattlichen Bürgerhäusern, verspielten Erkern und prächtigen Stechschildern“, wie es auf der Website der Stadt heißt, bewundern, oder über die Kunstmeile mit ihren Skulpturen flanieren. Im Bau ist eine Drahtseil-Hängebrücke über das Neckartal, mit der schwindelfreie Touristen angelockt werden sollen, wie auch an anderen Orten im Land.
Hinter Rottweil verlassen wir den Neckar, überqueren die „Europäische Wasserscheide“ und erreichen bei Tuttlingen die Donau. Das hier noch breite Tal wird bald enger, die Felsen werden höher und rücken näher, oftmals gekrönt von Burgen, die Donau mäandert in vielen Schleifen durch die Landschaft. Dieses Teilstück unserer Bummeltour gehört zu den beeindruckendsten, und das auch noch mit Sonne über der herbstlich-bunten Natur (siehe Titelbild dieser Ausgabe)!
An der Donau rücken die steilen Felsen näher
Wir übernachten im Jägerhaus, einsam zwischen Fluss und Fels gelegen, dort, wo man die Donau auf einigen Steinen zu Fuß überqueren kann. Auf den Tisch kommt Wildfleisch, aus eigener Jagd, wie die Wirtin des Jägerhauses versichert. Dazu Spätzle, eine große Schüssel voll. Wir kommen zurecht. Später am Abend sehen wir vom Balkon aus einen großartigen Sternenhimmel, hier endlich ungetrübt von tiefhängenden Wolken oder aufsteigendem Nebel. Der zeigt sich zwar morgens, wird aber bald von der Sonne verdrängt. Die warmen Hosen brauchen wir weiterhin.
Vor Sigmaringen erwartet uns eine langgezogene Steigung, bevor wir hinunter in den Ort rollen, dessen Altstadt von dem gewaltigen Hohenzollernschloss überragt wird. Man kann es besichtigen, nicht aber abends nach der Etappe. Das nehmen wir leicht – Schlösser haben wir schon viele gesehen.
Im Hotel stellen wir unsere Räder neben vier Pedelecs und erhalten danach einen Handzettel, auf dem einige Gaststätten aufgeführt sind, alle erreichbar in ein bis drei Minuten. Indisch, Türkisch, Chinesisch, Gutbürgerlich, Griechisch, Italienisch – die Küchen der Welt im Umkreis von wenigen Minuten (zu Fuß!). Und das nicht in Stuttgart oder Frankfurt, sondern im kleinstädtischen Sigmaringen. Welch großes Glück, in diesem Land leben zu können. Wir haben uns für den Wok entschieden.
Wir verlassen das Donautal und folgen dem Hohenzollernradweg auf Nebenstrecken und guten Wirtschaftswegen über die Alb nach Süden. In Meßkirch wollen wir eine Kaffeepause einlegen. Am 3. Oktober wirkt der Ort verlassen, nur die Pizzeria Etna hat geöffnet. Darin sitzen vorne vier italienisch sprechende Männer bei Espresso und hinten vier schwäbisch sprechende Frauen bei Pizza und Bier oder Cola. Wir setzen uns an einen Tisch dazwischen und bestellen Kaffee. Auf dem Tisch steht eine Dessertkarte, in der Schokoladentörtchen und Süße Pizzastreifen angeboten werden. Süße Pizza? Ja, erklärt der Chef, Streifen vom Pizzateig werden frittiert und mit Nutella und Puderzucker serviert. Pizzateig sei immer da, grinst er und freut sich über unser Interesse an seiner Kreation. Geschmeckt hat es übrigens auch.
Eine letzte Hügelkette überwinden wir vor Überlingen, danach liegt nur noch unser Hotel zwischen uns und dem Bodensee. Zum Seeufer spazieren wir, nachdem wir Räder und Gepäck sicher versorgt haben.
Überlingen an einem Samstag zu erkunden, in der Altstadt über den Wochenmarkt zu schlendern, am Seeufer Kaffee zu trinken, über den Bodenseereiter-Brunnen des Bildhauers Peter Lenk zu sinnieren und dabei die Schweizer Berge jenseits des Wasser aufsteigen zu sehen, das alles bei fast sonnigem Wetter – auch so kann Urlaub sein.
In Meersburg wirbt die AfD für Abschiebung und die „freie-presse-bodensee“ korrigiert die „Mainstream-Medien“. Am Hafen steht eine weitere Skulptur von Peter Lenk. Wir trinken unseren Kaffee wieder „beim Italiener“, hier mit Apfelkuchen, und fahren mit Rückenwind weiter.
In Friedrichshafen holt uns der Regen ein, unser Picknick auf einer Bank am See müssen wir abbrechen und uns unter ein Vordach flüchten. Trotzdem erreichen wir Lindau noch rechtzeitig vor dem Abendessen, das wir hier nicht in einem Gasthaus, sondern in der Küche meines Bruders einnehmen.
Fazit: Zumeist schöne Gegenden, hübsche und interessante Städte, überwiegend gut ausgebaute und beschilderte Radwege, gute Bahnverbindungen, vielfältige Gastronomie – eine wirklich schöne, empfehlenswerte Tour durchs Schwabenland, finden wir – trotz des Wetters.
Die Heimfahrt gelingt mit der Deutschen Bahn, die uns aber in Ulm das Umsteigen schwer macht: Die Aufzüge an Gleis 8 und Gleis 1 sind defekt. Wir kommen an auf Gleis 8 und wollen weiter von Gleis 1. Dank vorausschauender Reiseplanung haben wir die Zeit, Fahrräder (zum Glück „bio“) und Taschen viele Stufen hinauf und wieder hinunter zu schleppen. Es reicht sogar noch zu einem Kaffee auf dem Bahnhofsvorplatz.
Peter Sauer
6_2025 November/Dezember
Einfahrt nach Bad Wimpfen
Das Hohenzollernschloss in Sigmaringen überragt die StadtPeter Sauer (13)
frankfurtaktuell
Wetterfeste Radfahrerin
Die Altstadt von
Bad Wimpfen
Umleitung, vorbildlich
Skulptur von Peter Lenk am Hafen in Meersburg
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Tübingen mit Neckar,
links der Hölderlin-Turm
Radweg gesperrt, Umleitung
6_2025 November/Dezember
Felsen im
Donautal
Stadttor in
Überlingen
Gasthaus Karpfen
in Eberbach
Tübingen,
Ammergasse
Rottweil,
Altstadt
Lindau: Alpenblick mit Leuchtturm
mitte: Text
rechts: Text
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