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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Ausgabe 3/1999   Mai / Jun.


ADFC OFFENBACH

Offenbacher Fahrradgeschichten

Aufstieg und Untergang der Fahrradfabrik „Frischauf"

Wegen der damals berühmten politischen Toleranz der Stadt Offenbach verlegte der Arbeiter-Radfahrerbund „Solidarität" im Jahre 1907 seinen Hauptsitz von Chemnitz nach Offenbach. Die bereits 1896 gegründete „Solidarität" war eine Tochter der damals von der Regierung noch heftigst bekämpften Arbeiterbewegung und verstand sich nicht als Sportverein, sondern als Gewerkschaft der Radfahrer in Deutschland.

Eines der Vereinsziele der „Solidarität" war die Beschaffung preiswerter und guter Fahrräder für die Mitglieder. Einige Jahre nach dem Umzug nach Offenbach entschloß sich die Vereinsleitung, zu diesem Zwecke eine genossenschaftlich organisierte Fahrradfabrik zu gründen. 1912 war die Fabrik mit dem schönen Namen „Frischauf" in der Sprendlinger Landstraße 220-224 fertig. Angeschlossen waren ein Bürogebäude für die Fabrik und die Bundesverwaltung des Vereins sowie drei große Mehrfamilienhäuser für die Arbeiter und Angestellten der Fabrik.

Die Offenbacher staunten über die ungewohnte Luxusausstattung der Dreizimmerwohnungen mit eingerichteter Wohnküche, Bad und Kachelöfen. Der normale Standard der Jahrhundertwende – und später – war das Gemeinschafts-Plumpsklo im Hof und das wöchentliche Familienbad in der Zinkwanne in der Küche. Einen dieser Häuserblocks könnt Ihr neben dem neuen Postverteilzentrum in der Sprendlinger Landstraße noch bewundern.

Die „Goldenen Zwanziger"
In den zwanziger Jahren hatte die „Solidarität" fast 300.000 Mitglieder und war der größte Radfahrerbund der Welt. Wegen der großen Nachfrage wurde die Fabrik damals noch erweitert und stellte neben vielen verschiedenen Fahrradtypen auch sämtliches Zubehör her. Sie ernährte in den von Massenarbeitslosigkeit geprägten Zwanziger Jahren über 1000 Menschen

Autofahrer durften dann auch mitmachen, der Name wurde zu „Arbeiter Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität" geändert.

1933 war die Herrlichkeit zu Ende – die Nationalsozialisten verboten den Verein, nicht zuletzt, um dieser roten Zelle im sowieso roten Offenbach den Garaus zu machen. Sechs Wochen nach der Machtergreifung Ende Januar 1933 besetzte die SA die Offenbacher Zentrale und ermordete den gerade dort anwesenden Vorsitzenden Heinrich Niemann. Die neuen Herrscher enteigneten alle Vermögenswerte des Vereins und benannten die Fabrik in Mayweg-Werke um. Mitarbeiter, die sich dem Zeitgeist nicht anpassen wollten, wurden in die neu entstandenen Konzentrationslager deportiert und die Wohnhäuser im Jahre 1935 verkauft. In den Fabrikgebäuden mußten 600 Zwangsarbeiter Kriegsmaterial herstellen.

1946 - 1999 – Alles schon mal dagewesen
Nachdem die Deutschen nach dem Ende des 1000-jährigen Reiches aus den Ruinen gekrabbelt waren und das Leben langsam wieder in geordnete Bahnen kam, gründeten die übrig gebliebenen Aktivisten im Jahre 1946 den Verein neu, doch sie bekamen das Werk nicht zurück und die mickrigen Entschädigungszahlungen reichten nicht für einen Neuaufbau. Der mit dem Wirtschaftswunder beginnende Aufstieg des Automobils zum Massenverkehrsmittel ließ einen Neuaufbau der Fabrik dann nicht mehr zu.

Die „Solidarität" hat noch immer ihre Bundeszentrale in Offenbach, doch die Mitgliederzahlen sind weit von ihrer vormaligen Herrlichkeit entfernt. Der ADFC bemüht sich redlich um die Nachfolge als größter Radfahrerbund der Welt, wenn auch unter weniger politischen Vorzeichen, und ist mit rund 100.000 Mitgliedern auf dem besten Wege dazu.

Sozialdemokratische Fahrräder gibt’s auch wieder. Sie werden im Auftrag der SPD und der IDENT Marketing Gesellschaft unter der Marke „Vorwärts" bei der Bremer Fahrradmanufaktur gefertigt, aber vorerst nur in Norddeutschland verkauft.

Alten Offenbachern sind die „gritzegrienen" Frischauf-Fahrräder noch in bester Erinnerung. Nach Aussage eines hiesigen Fahrradhändlers fahren davon, 66 Jahre nach dem Ende der Fabrik, immer noch welche herum. Das war Qualität! Die Radwege, die Vereine, die genossenschaftlichen Fahrräder – alles schon mal dagewesen. So modern ist unsere Zeit bei näherem Hinsehen gar nicht, und von den Altvorderen können wir Jungspunde noch so manches lernen. Deshalb wird der Chronist auch dem Offenbacher Stadtarchiv noch einige Besuche abstatten und weiter über spannende, witzige und traurige Funde zur Geschichte der Offenbacher Fahrradfahrer, –wege und –vereine berichten.

Quellen:
Offenbacher Stadtarchiv, „Offenbach – was für eine Stadt" von W. B. Sahm und C. Uslular-Thiele, CoCon-Verlag Hanau, 1997, „Die roten Radler" von Ralf Beduhn, und unserem langjährigen Vorsitzenden Günter Burkhart

(ch)

frankfurt aktuell 3/1999 (1999313)   © Copyright 1999 by ADFC Frankfurt am Main e.V.
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