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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Das neue Heim ist schick und schön
– jedoch fürs Rad ist nichts zu seh'n!

Frankfurts Neubausiedlungen lassen bisher eine angemessene moderne Fahrrad-Infrastruktur vermissen!

Bild zum Artikel Neubauquartier Nell-Breuning-Straße bei der S-Bahn-Station Stresemannallee: Be­ein­dru­cken­de ar­chi­tek­to­ni­sche For­men­spra­che. Fahr­rä­der und Ab­stell­bü­gel wür­den da wohl nur stö­ren. Es gibt da­her auch keine.
Foto: Bertram Giebeler

Frankfurt wird größer und strebt auf die 800.000 Einwohner-Marke zu, die vielen neuen Mitbürger müssen irgendwo wohnen, es müssen massenhaft Wohnungen gebaut werden. Insgesamt stehen auf der Agenda des Planungsdezernenten ein Dutzend neue Quartiere mit Wohnungen in jeweils dreistelliger bis unterer vierstelliger Anzahl.

Schon in den letzten Jahren sind eine Reihe von Neubau­quartieren entstanden, mit dem Europaviertel und dem Riedberg sogar zwei regelrecht neue Stadtteile. Heute gehört eigentlich zum Standard, für neue Quartiere jeweils angepasste Konzepte der Nahmobilität zu entwickeln, also Rad fahren und zu Fuß gehen gezielt und sichtbar zu fördern.

Neues Heim bringt neue Mobilität – jedenfalls in der Theorie

Wenn viele Menschen neu nach Frankfurt ziehen oder innerhalb Frankfurts in neue Quartiere, kann dies für die Verkehrspolitik eine Chance sein, im Sinne der Förderung eines umweltbewussten und vor allem auch platzsparenden Mobilitätsverhaltens der vielen neuen Bewohner. Schließlich sind räumliche Veränderungen wie Umzüge immer auch ein Grund, bisherige Gewohnheiten zu überprüfen und zu ändern, wie die Wahl des Verkehrsmittels im Alltag. Es ist wahrscheinlich, dass ein relevanter Teil der neuen Quartiersbewohner aus suburbanen oder ländlich-kleinstädtischen Siedlungsräumen kommt, wo ständige Autonutzung selbstverständlich ist. In einer Großstadt wie Frankfurt jedoch macht man sich mit diesem Mobilitätsverhalten nur selbst das Leben schwer.

Wir wollen hier gar nicht dem "autofreien Wohnquartier" das Wort reden. Beispiele kennt der Autor in Bremen und Kiel, aber solche Verzichts-Konzepte sind nur für einen sehr speziellen Kundenkreis akzeptabel. Auf Nachhaltigkeit fokussierte Quartierskonzepte mit eingeschränkter Autonutzung wie im Vauban-Quartier in Freiburg, dort durchaus erfolgreich, kämen für Frankfurt schon eher in Frage. Bislang traute man sich hier aber nicht an solch eine Idee heran. Immerhin wird ab Februar 2017 für Neubauten eine neue Stellplatzsatzung gelten. In vom ÖPNV gut erschlossenen Lagen müssen dann nicht mehr so viele Kfz-Stellplätze vorgehalten werden, sie können dafür durch Sharing-Angebote und durch Fahrradinfrastruktur teilweise kompensiert werden.

Bisherige Neubauquartiere entmutigen Radfahrer!

Was man auf alle Fälle machen müsste und ohne großen Aufwand auch könnte: den Neubewohnern offensiv eine Fahrrad-Infrastruktur anzubieten, die überhaupt den Gedanken aufkommen lässt, es mal mit dem Rad zu versuchen. Daran hapert es wirklich. Die in letzter Zeit bezogenen neuen Quartiere sehen in dieser Hinsicht traurig aus! Beispiele:

Bild zum Arikel

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links: So muss sich der Hilgen­felder behelfen: Drei Fahr­rä­der am Lam­penmast
rechts: So sieht Fahrradk­ul­tur auf Hil­gen­feldisch aus: Rad liegt im Haus­eingang
Fotos: Bertram Giebeler

Frankfurter Berg
Das Hilgenfeld direkt nördlich der S-Bahn-Station "Frankfurter Berg". Ein eher kleines Neubauquartier, aber das ist kein Grund, in Sachen Radverkehrsinfrastruktur buchstäblich eine Null-Lösung anzubieten: Im Hilgenfeld gibt es Carports, an deren Gestänge einige Fahrräder notdürftig angekettet sind. In Garagen und Gartenhütten stehen sicherlich einige Fahrräder. Als Besucher hat man aber keine Chance, sein Rad anzuschließen. Wer dort wohnt, soll sich aus Sicht der Planer mit so neumodischem Schnickschnack wie intelligentem Mobilitätsmix gar nicht erst befassen. Schließlich gibt's den Carport fürs Auto, die S-Bahn in die City ist nicht weit, und es fährt sogar ein Bus! Wozu also Rad fahren?

Frankfurter Berg
Das Hilgenfeld direkt nördlich der S-Bahn-Station "Frankfurter Berg". Ein eher kleines Neubauquartier, aber das ist kein Grund, in Sachen Radverkehrsinfrastruktur buchstäblich eine Null-Lösung anzubieten: Im Hilgenfeld gibt es Carports, an deren Gestänge einige Fahrräder notdürftig angekettet sind. In Garagen und Gartenhütten stehen sicherlich einige Fahrräder. Als Besucher hat man aber keine Chance, sein Rad anzuschließen. Wer dort wohnt, soll sich aus Sicht der Planer mit so neumodischem Schnickschnack wie intelligentem Mobilitätsmix gar nicht erst befassen. Schließlich gibt's den Carport fürs Auto, die S-Bahn in die City ist nicht weit, und es fährt sogar ein Bus! Wozu also Rad fahren?

Sachsenhausen
Im teuren Sachsenhausen sehen die Häuser der Neubauquartiere schon schicker aus, und es gibt großzügig Platz in Tiefgaragen. An Radverkehr scheinen die Planer aber auch dort, in einem citynahen Stadtteil, nicht viel Hirnschmalz verschwendet zu haben.

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Wohnquartier am neuen Henninger­turm. Schicke Häu­ser, hüb­sche Gar­ten­anlagen, Tief­garage. Fahr­rad­in­fra­struktur bis­lang nicht er­kennbar.
Fotos: Bertram Giebeler

Wer zum Beispiel im neuen Wohnkomplex Nell-Breuning-Straße jemanden besuchen möchte und mit dem Fahrrad dorthin fährt, wird auch nach noch so verzweifelter Suche keine Abstellmöglichkeit vorfinden. Okay, die Bewohner können ihre Fahrräder in der Tiefgarage abstellen; in einer so zentralen Lage, die kurze Wege im Alltag ermöglicht, ist es aber unnötig aufwändig, tagsüber jedes Mal in die Tiefgarage zu rollen. Auch hier drängt sich der Eindruck auf, dass es zumindest nicht das Ziel der Planer war, die Bewohner zur Fahrradnutzung zu ermuntern.

Das am Sachsenhäuser Berg gelegene neue Wohnviertel "Am Henninger Turm" unterhalb des Luxus-Towers verlangt dem Rad fahrenden Bewohner immerhin einiges ab: die Bewältigung einer der ganz wenigen ernsthaften Steigungen auf Frankfurts Straßen, des unteren Hainer Wegs. Hier würde es sogar Sinn machen, die Nutzung von Pedelecs zu fördern, etwa mit einer Ladestation nebst Hinweis darauf. Derzeit ist noch nicht einmal ein einziger trivialer Abstellbügel auf dem ganzen Gelände zu sehen.

Problem Eigentum: scheinbar öffentlicher Raum ist in Wahrheit privat

Europaviertel
Wenn für Frankfurts größtes Neubauquartier, das Europaviertel, in Prospekten und Anzeigen geworben wird, sieht man oft fröhlich radelnde Menschen vor moderner Gebäudekulisse. In der Realität gibt es dort einen Flickenteppich von guten, akzeptablen, schlechten und gar nicht vorhandenen Lösungen der Radverkehrs-Infrastruktur. Das betrifft sowohl die Radverkehrsführung als auch die Abstellsituation.

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Foto: Peter Sauer "> Bild zum Artikel

links: Hier hat die Stadt offiziell nichts zu sagen! Dieser Radweg gehört dem Haupt-Investor im Europaviertel, der Firma AURELIS. Die können dort Umlaufsperren hinstellen, wie es ihnen gefällt.
rechts: Wohnraum möglichst teuer, "Fahrradabstellanlage" möglichst billig: Felgenkiller aus dem Baumarkt vor Gebäuden mit Anspruch. Das passt nicht.
Fotos: Peter Sauer

Im Europaviertel ist die Fahrrad-Infrastruktur nur teilweise städtisch; ein großer Teil des Rad- und Fußverkehrs spielt sich auf privatem Grund des Investors ab. Das muss nicht zwangsläufig schlecht sein, führt aber im Europaviertel zu manchen Merkwürdigkeiten. Solche Situationen gibt es anderswo auch, zum Beispiel in der oben genannten Nell-Breuning-Straße oder in der New-Atterberry-Siedlung an der Friedberger Warte. Was wie eine städtische Straße aussieht und auch ausgeschildert ist wie diese, ist in Wahrheit Teil eines privaten Immobilienkomplexes. Das macht es schwer bis geradezu unmöglich, auf den üblichen politischen Wegen Einfluss darauf zu nehmen, wie die Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger aussehen sollte. Umso wichtiger ist es, schon in der Ausschreibung der Planungen seitens der Stadtpolitik entsprechende Vorgaben zu machen.

So wichtig wie der Straßen- und ÖV-Anschluss: die Anbindung an das künftige ausgeschilderte Radverkehrsnetz

Künftige neue Wohnquartiere sollten so gestaltet sein, dass sie zur Nutzung des Fahrrades als Teil des individuellen und familiären Mobilitätsmixes ermuntern. Dazu gehört auch der Anschluss an das beschlossene beschilderte Frankfurter Radverkehrsnetz, das derzeit im Entstehen ist. Wenn das neue Quartier nicht ohnehin am Netz liegt, braucht es sichere und komfortable Radwege, die zu den beschilderten Hauptstrecken des Radnetzes führen. Größere Quartiere wie das in Sindlingen westlich der Ferdinand-Hofmann-Siedlung, Bonames-Ost oder das Innovationsquartier zwischen Nordend und Bornheim generieren in nennenswertem Maß neuen Radverkehr und werden damit zu neuen Netzknoten und Beschilderungszielen.

Fazit: bitte nicht so weitermachen!
Wenn die Stadt die Radverkehrsinfrastruktur neuer Wohnquartiere weiter so teilnahmslos dahindümpeln lässt, vergibt sie sich eine Chance, für eine nachhaltige Verkehrspolitik Pflöcke einzuschlagen. Es braucht ein Angebot, das deutlich signalisiert: "Hier, lieber Neubewohner, kannst du gut, sicher und komfortabel Rad fahren – und im Rest von Frankfurt geben wir uns alle Mühe!"

Bertram Giebeler