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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

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Drei tapfere deutsche Radler beim Versuch, eine holländische Kuh einzufangen
Foto: Günther Gräning

Wenn einer eine Reise tut...

Jeder weiß: Wenn man zu Hause bleibt, passiert meistens wenig. Wenn man auf Reisen unterwegs ist, kann viel geschehen. Einiges widerfährt einem nur mit Fahrrad, anderes hingegen nur ohne. Bei vielem erweist sich ein Fahrrad freilich als äußerst nützlich.

Um das Schicksal ein wenig herauszufordern, wollten sich Hansi und Gerhard aus dem Saarland, Rüdiger aus Bayern sowie Emil, Gernot und ich aus dem Raum Rhein/Main in Saarbrücken treffen, um von dort in die Nähe von Nimwegen zu radeln. Dies ist ihnen dabei widerfahren:

Am 6. Juni getrennte Anreise nach Saarbrücken. Mein Regionalexpress nach Mannheim hat je eine Lok vorne und hinten und gerät noch in Frankfurt auf das Gleis zum Flughafentunnel. Dort gehört er offenbar nicht hin. Aktionen des Lokchefs: Notbremsung; Stopp der vorderen Lok; Gang nach hinten; Start der hinteren Lok; Rückfahrt um etwa 500 Meter; Stopp der hinteren Lok; Gang nach vorn; Start der vorderen Lok; Weiterfahrt mit 30 Minuten Verspätung. Ich erreiche den Zug nach Saarbrücken nur knapp und erfahre darin von einem durchgeknallten Radfahrer, dass sein Rad 4000 € gekostet hat und er alle 1000 km die gesamte Antriebsgruppe auswechseln lässt. Abends im Restaurant in Saarbrücken wird Gerhard von einem Hund in die Wade gebissen, auf den er bei trüber Beleuchtung tritt. Nebenbei: In Saarbrücken fährt jeder Radler wie er will; ich erlebe alle denkbaren Verkehrsverstöße unter den Augen der Polizei.

Am 7. Juni geht es insgesamt 92 km an der Saar bis Schoden.
Wir müssen an der berühmten Saarschleife die Innenbahn fahren und haben so eine grandiose Aussicht auf die steile Bergwand gegenüber. In Saarburg sind Gerhard und ich begeistert von zwei kleinen Elektrorollern mit dem Namen "Tante Anna". Ich spende einem argentinischen Kind einen Euro für den Ritt auf einem Fahrgerät.

Am nächsten Tag sind es 70 km an Saar, Mosel und Kyll bis Bitburg-Erdorf.
Rüdiger hat seine gesamte Wintergarderobe dabei. Die Folge ist, dass er an Steigungen sehr leidet und sein Gepäckträger schwächelt. Emil ersetzt eine gebrochene Schraube, deren Rest im Gewinde steckt, durch Kabelbinder.

Am 9. Juni 72 km bis Schmidtheim/Eifel.
Emil demontiert zwei Schrauben von Rüdigers Getränkehaltern und setzt dessen Gepäckträger höher. Hansi fährt durch eine geschlossene Bahnschranke; das ist in Saarbrücken so üblich. An der Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wird auf den Bergen die Orientierung schwierig. Emil fährt mit GPS 78S (oder so ähnlich), Gerhard mit einer ADAC-Autokarte von 2009 und ich mit einer ADFC-Karte Eifel/Hunsrück von 1996. Da hilft letztlich nur die Auskunft eines Ortskundigen.

66 km bis Monschau an der Rur am nächsten Tag.
Wir erreichen den Fluss Urft in Kall. Rüdiger schickt mit großen Teilen seines Gepäcks versehentlich auch seinen Pfeifentabak per Post nach Hause. Es geht am Urft-Stausee flussabwärts und dann die Rur aufwärts. Die letzten vier Kilometer vor Monschau sind als Radweg kaum zumutbar. Es kommt hinzu, dass es in Monschau für Rüdiger keinen Tabak gibt.

Am 11. Juni insgesamt 80 (ich) oder 88 (Gernot) oder 96 km (Rüdiger) bis Maastricht, je nach Route.
Mir reißt hinter Monschau der hintere Schaltzug. Glück im Unglück: Der Vennbahn-Radweg ist fast eben. Ich fahre meinen Mitradlern mit dem kleinen Ritzel voran bis Rötgen. Phänomenaler Service im dortigen Fahrradladen: Während ich noch mein Gepäck in den Laden schleppe, hat der Monteur den Schaltzug schon ausgewechselt! Wir verlieren also keine Minute. Rüdiger leidet weiter: Erst muss er sich einer Abkürzung widersetzen und fährt den Vennbahn-Weg voll aus; anschließend gibt es für ihn keinen Tabak in Kornelimünster. Aber in Aachen am Dom wird er endlich fündig. Seine Pfeife und damit auch er selbst sind jetzt wieder voll einsatzfähig. Er manövriert ab Landesgrenze mit holländischen Radkarten von einem Radweg-Knoten zum nächsten. Hansi versalzt seinen Lachs, weil er die Salzstreuerdrehtechnik nicht versteht.

Am Folgetag 99 km durch Holland bis Nettetal-Kaldenkirchen knapp jenseits der Grenze in Deutschland.
Morgens irren wir in Maastricht auf der Suche nach dem Weg auf einer Maasbrücke herum und wundern uns über viele Ruder-Achter auf der Maas, einen singenden Chor, eine Blaskapelle, eine Ehrenabordnung und viele Zuschauer. Die Polizisten haben kein Verständnis für unser Herumirren und wollen uns vom Radweg weisen. Plötzlich rollt des nagelneue holländische Königspaar in einer Fahrzeugkolonne unmittelbar an uns vorbei. Wir kommen für ein paar Kilometer nach Belgien. Mitten in einer Ortschaft rennt plötzlich eine Kuh vor unseren Augen aus einer Hofeinfahrt über die Straße. Wer eine Königin hätte stoppen können, der kann das erst recht mit einer Kuh! Also bilden wir mit unseren Rädern eine Phalanx quer über die Straße. Die Kuh ist zwar beeindruckt und bleibt in einer Hecke stecken, geht aber erst dann in die Hofeinfahrt zurück, als auf der anderen Seite eine alte Dame auftaucht und mit ihrem Handstock droht.

Am 13. Juni fahren wir 77 km bis Groesbeek, die letzten davon im Regen.
Dabei hangeln wir uns von Knoten zu Knoten auf nummerierten Radwegen und müssen erstaunliche Steigungen am Reichswald bewältigen. Schiefergraues holländisches Speiseeis und Senfsuppe mit Rahm sind mir in Erinnerung.

Am 14. Juni sollen uns die Fahrräder eigentlich nur etwa 30 km zur Bahn in Emmerich tragen. Aber für Emil und mich kommt es anders: In Brühl kurz vor Bonn ist Schluss. Ein Personenschaden zwingt den Zug erst zum Halten. Wir steigen auf die Räder und rasen 25 km bis zum Bahnhof in Bonn. Im Zug von dort nach Mainz erfahren wir von einem ICE-Unfall bei Biblis mit mehrstündigem Aufenthalt in der Nacht und von zwei entgleisten Güterwaggons, die die rechte Rheinstrecke bei Lorch kilometerweit rasiert haben.

Fazit: Wer etwas erleben will, fahre Rad. Wer das Risiko liebt, fahre Zug.

Günther Gräning