Skip to content

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main   

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe
"

"Sossenheim – Istanbul in 3 h"
Gruppe superurban.tv 2010

Gestaltet die Welt des Radverkehrs!

Das Fahrrad erlebt derzeit zweifelsfrei einen rasanten Aufstieg. Auf der Tagung der Regionalpark Open im letzten Jahr war Radverkehr kaum ein Thema – ein Jahr später ist er titelgebend und noch mehr: es gehört ihm schon die Zukunft. Das scheint mir ein gar zu kometenhafter Aufstieg zu sein. Ich will diesen Punkt noch einmal am Ende meines Beitrags aufgreifen.

Nicht nur wenn wir vom Radverkehr im Ballungsraum sprechen, müssen wir uns stets vor Augen halten, dass wir hier in einem polyzentristischen Ballungsraum leben. Im Gegensatz zum polyzentralen Raum wie Rhein-Ruhr sticht hier die Stadt Frankfurt als primus inter pares auch im Radverkehr besonders hervor. Ich habe vor einem Jahr angekündigt, alle 75 Mitgliedskommunen mit dem Rad bzw. mit Rad und Bahn zu besuchen und mir gemeinsam mit den dort für den Radverkehr Zuständigen ein Bild der Radverkehrssituation vor Ort zu machen. Einige Stimmen sagten, dafür brauche ich ja drei Jahre. Das ist korrekt, ich habe bisher 25 Kommunen geschafft und ein Jahr ist bereits vorüber. Was mir dabei als Offenbacher, der in Frankfurt arbeitet, gerade vor Ort stets vor Augen geführt wird: die Region ist im Radverkehr sehr heterogen aufgestellt und ausgestattet und weist demzufolge auch unterschiedliche Fragestellungen auf. Daher begrüße ich es sehr, dass das Lückenschlussprogramm der Stadt Frankfurt nicht an der Gemarkungsgrenze aufhört. Angeregt auch durch die umliegenden Kommunen unter Beteiligung des Regionalverbandes finden nun Gespräche statt, um notwendige und noch verbesserungswürdige Verbindungen gemeinsam anzupacken.

Georgios Kontos, Radverkehrsbeauftragter beim Regionalverband FrankfurtRheinMain, hat sich anlässlich der Tagung "Mobiliät 2100 – Dem Radverkehr gehört die Zukunft" (siehe Seite 17) Gedanken zur Gestaltung unserer Umwelt gemacht. Wir geben seinen Vortrag hier leicht gekürzt wieder.
Foto: HOLM




Georgios Kontos, Radverkehrsbeauftragter beim Regionalverband FrankfurtRheinMain, hat sich anlässlich der Tagung "Mobiliät 2100 – Dem Radverkehr gehört die Zukunft" (siehe Seite 17) Gedanken zur Gestaltung unserer Umwelt gemacht. Wir geben seinen Vortrag hier leicht gekürzt wieder.

Foto: HOLM

Welche Qualitäten bringt der Ballungsraum FrankfurtRheinMain mit sich? Da ist eindeutig die räumliche Gliederung, die weitgehend flache und damit radfreundliche Topografie, die Freiraumstruktur und die Gewässer – allen voran der Main, um nur die hervorstechendsten zu benennen. Dass nun der Mensch weit vor Beginn der Urbanisierung in Naturräume aktiv eingreift, sieht man (bzw. heute nicht mehr) z. B. an der massiven Korrektur des Oberrheins, aber auch in Frankfurt zu Zeiten Ernst Mays, der die Begradigung der Nidda nutzte und unter dem Motto "Städtebau ist Landschaftssteigerung" mit dem darauf folgenden Bau der Römerstadt eine neue, aber nicht mehr ganz so natürliche Qualität schuf.

Und hier setzt Gestaltung (durch Kultivierung) ein, die der Mensch ständig vornimmt. Wir nutzen die vorhandenen Qualitäten und gestalten unsere Mainufer, wir gestalten den öffentlichen Raum, wir gestalten den Regionalpark RheinMain. Aber gestalten wir den Verkehr (der ja nun Mobilität heißt) im Ballungsraum? Verkehr wird meist nur gelenkt, noch krasser: "er wird abgewickelt". Noch einmal: Das Thema Gestaltung im Sinne eines ästhetischen Anspruchs an unsere Umwelt ist mir auch in der Welt des Radverkehrs ein wichtiges.

Bilden wir eine Klammer um alle diese zuvor genannten Qualitäten, so könnte man dies für den Ballungsraum mit einem einzigen Begriff ausdrücken: Nähe. Und jetzt sind wir tatsächlich beim Radverkehr im Ballungsraum angelangt. Dieser Ballungsraum ist geprägt von Nähe. Ideal für Fuß- und Radverkehr, ideal auch für ÖPNV und, vor allem, ideal für alles gemeinsam, also den intermodalen Verbund. Und der muss gestaltet werden! Intermodalität ist nicht nur gut zu organisieren und muss gut funktionieren, sie hat meiner Meinung nach auch gut auszusehen.

Ich bin der Überzeugung, dass der Mensch durch gute Gestaltung (unterbewusst) erzogen werden kann. Ich will diese Provokation an einem Beispiel erläutern: alte versus neue S-Bahnen. Ich wohne in Offenbach direkt am Wilhelmsplatz, meine Radstrecke zur Arbeit beträgt 12,5 km zum Frankfurter Hauptbahnhof. Ich nutze häufig die S-Bahn, am liebsten aber beides. In den alten S-Bahnen kommt es häufig zu Konflikten, wenn Radfahrer ihre Räder in den dafür gekennzeichneten Bereichen abstellen wollen und diese Plätze bereits durch Personen im wahrsten Sinne des Wortes besetzt sind. Die neuen S-Bahnen machen mit der Gestaltung des Mehrzweckraumes von Anfang an klar, wo Räder abgestellt werden können und wo nicht, wo Menschen sitzen können und wo nicht. In diesem Punkt gibt es keine Konflikte mehr. Ein separiertes Fahrradabteil wird es aufgrund des rasanten Anstiegs des Radverkehrs auch irgendwann geben. Denn Fahrradmobilität ist keine Mode. Denn was modisch ist, geht ohne Wirkung vorüber.

Im Folgenden will ich nun beispielhaft erläutern, wie der Regionalverband für die Förderung des Radverkehrs arbeitet und gleichzeitig herausstellen, welche neuen Herausforderungen damit verbunden sind. Zum einen haben wir mit der Darstellung der überregionalen Radrouten im Regionalen Flächennutzungsplan ein gutes Instrument an der Hand, welches derzeit im Zuge der Fortentwicklung des Planes auch aktualisiert wird. Nun gibt es den Regionalen Flächennutzungsplan unter anderem deswegen, weil man erkannt hat, dass wir in der Region insbesondere den regionalen Einzelhandel auf der grünen Wiese steuern müssen – zur Stärkung und Intakthaltung unserer Innenstädte. Selbstkritisch fällt mir dabei auf: Wir steuern ganze Sortimente im Einzelhandelskonzept, aber wo findet der Verkehr dort Eingang? Oder gar der Radverkehr? Er spielt im Einkauf – und das ist eben auch ein wichtiger Teil des Alltagsradelns hier in der Region – bisher überhaupt keine Rolle.

Ein Beispiel: Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach. Ich arbeite gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Verwaltung und engagierten Bürgern in der Radfahrgruppe als Teil des Programms "Verträgliche ­Mobilität für Sulzbach" mit. Wir haben uns u.&xnbsp;a. vorgenommen, das Thema Radverkehr am und zum Main-Taunus-Zentrum bei der Geschäftsführung dort weiter zu etablieren. Ich beobachte das sehr genau, denn aus regionaler Sicht soll der Prozess kein Einzelfall bleiben. Das MTZ verfügt über 4.500 Parkplätze. Bei dem Treffen mit der Geschäftsleitung vor Ort, das offen und freundlich verlief, wurde verkündet, dass man gerade die Anzahl der Radabstellplätze fast verdoppelt habe, von 70 auf nunmehr 137. Doch sagt die Quantität rein gar nichts über die Qualität aus – bis heute sind nicht wenige der Radabstellplätze mit dem Rad gar nicht zu erreichen. Wenn ich dann argumentiere: Eigentlich müssten doch (gemessen an allen vorhandenen Parkplätzen) 15 - 20 % Radabstellplätze installiert werden, um ein deutliches Ja zum Radverkehr auch sichtbar zu machen, dann fällt sowohl der Geschäftsführung als auch der Radfahrgruppe selbst die Kinnlade runter. In Summe bedeutet das nämlich 700 - 900 Rad­abstellplätze! Das MTZ hat sicherlich überregionale Bedeutung, aber es ist auch von den umliegenden Orten mit dem Rad über Distanzen von 6 - 8 km ebenso gut erreichbar. Doch fließt das Rad als Wirtschaftsfaktor überhaupt nicht in die Bilanz des Hauses mit ein. Ein Parkplatz hat einen Wert von 80.000 Euro pro Jahr. Dieser Wert berechnet sich so: Die Summe der Jahreseinnahmen geteilt durch die Anzahl der vorhandenen Parkplätze. Ein Radabstellplatz hat demnach einen Wert von 0,00 Euro. Das entspricht in gar keinem Fall der Realität. Hier ist also noch außerordentlich viel an Sensibilisierungsarbeit zu leisten.

Dabei fällt mir auf, dass es hier eine starke Parallele gibt, die aus der Leitbildgeschichte der Stadtentwicklungsplanung bekannt und auch in der politischen Praxis geläufig ist: Der Inkrementalismus. Übersetzt heißt das "behutsames Wachstum" oder "die Politik der kleinen Schritte". Was der Deutsche wie so oft mit einem Euphemismus belegt, drückt der Engländer schon klarer aus: das "muddling through", die "Politik des sich Hindurchwurschtelns". Davon müssen wir auch im Radverkehr weg. Ich bin kein Freund von Masterplänen, denn diese gehen häufig an der Praxis vorbei – aber wie wäre es mit dem Instrument des perspektivischen Inkrementalismus? Wir gehen kleine Schritte, aber wir wissen dabei, wohin sie führen werden. Dazu gehört auch Mut. Mut, die Konsequenzen zu fordern und deren Umsetzung zu fördern. Die Airport City beherbergt perspektivisch 90.000 Arbeits­plätze im Jahr 2021. Ziehen wir das Spiel durch und installieren jetzt 10 % Radabstellplätze für Mitarbeiter und Besucher. Das wären in summa mindestens 9000 Rad­abstellplätze in der Airport City. Das ist eine Zahl, an die man sich erst gewöhnen muss.

Der Regionalverband engagiert sich auch weiterhin, über das Netzwerk RADforum Rhein-Main wichtige regionale und kommunale Themen zu identifizieren, zu thematisieren und Unterstützung bei deren Umsetzung anzubieten. Kernziele der halbjährlich stattfindenden Veranstaltung sind die Intensivierung des Erfahrungs- und Informationsaustauschs, die Abstimmung eines regionalen Radroutennetzes sowie die Unterstützung regionaler Radverkehrsprojekte. Ein Beispiel ist die Vorbereitung von Sammelanträgen zur Förderung von Bike+ Ride-Stationen, die an den bisher ausgewählten Standorten – der eine umfasst die Kommunen Neu-Isenburg, Langen, Dreieich, der andere Nidderau, Schöneck, Maintal, Niederdorfelden und Bad Vilbel – zum Teil in erbärmlichen Zustand oder in nicht ausreihender Anzahl vorhanden ist. Kooperation in Projekten aus dem Netzwerk heraus ist unsere Praxis, wie auch das Projekt Radschnellweg Frankfurt - Darmstadt zeigt.

Eine weitere Herausforderung ist das Qualitätsmanagement unserer Radinfrastruktur. Dazu gehören Bestandspflege, Unterhaltung und die dazugehörige Bewerbung. Auf ausgewählten touristischen Strecken und mit großer Unterstützung des ADFC Hessen wird das Thema jetzt pilotmäßig angegangen. Aber auch ich muss mir hier an die eigene Nase greifen: Das 2.500 km lange ausgewiesene überregionale Radnetz unterliegt bisher keinen Qualitätskriterien und schon gar nicht der Evaluierung.

Das alles hört sich nach ganz schön viel Arbeit an. Ich benenne daher eine letzte, aber nicht abschließende Herausforderung: Der Ressourcen-Spagat zwischen vorhandenem Personal, Zeit und Budget im Radverkehr. Bei dem großen Engagement, das ich insbeson­dere bei meinen Besuchen vor Ort bei den Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung vorfinde, spielt Zeit und Budget oft dagegen. Eine Lösung dafür habe ich freilich nicht, ich kämpfe selbst damit – allein die Leidenschaft fürs Thema macht einiges, aber nicht alles wett.

Die Illustration links trägt den Titel "Sossenheim – Istanbul in 3 Stunden". Das "Bild" könnte aber auch einen Mitarbeiter von Fraport oder Lufthansa auf dem Weg zur Arbeit zeigen. Der Regionalverband leitet seit gut einem Jahr einen Arbeitskreis, der sich mit der Radanbindung des Stadtteils Flughafens beschäftigt. Ohne hier auf die Inhalte einzugehen, möchte ich aber bereits jetzt darauf hinweisen, dass es doch eigentlich nichts Schöneres gibt, als morgens auf dem Weg zur Arbeit 10 Minuten Waldluft atmen zu können und mit frischem Kopf am Arbeitsplatz einzutreffen. Welcher Arbeitgeber kann das schon bieten? Doch darüber hinaus will ich mein Rad sicher abstellen; will ich mein Rad bei einem Defekt zur Reparatur geben können, während ich arbeite; will ich die Frische im Kopf durch eine Dusche auch am Körper nachholen. Nur unter diesen Bedingungen wird das "Bild" kein Einzelfall bleiben. Und genau das wollen wir!

Gehört dem Radverkehr tatsächlich die Zukunft? Als regionaler Radverkehrsbeauftragter könnte ich mir es jetzt natürlich recht einfach machen. Das kann und will ich nicht. Das Fahrrad alleine ist nicht das Allheilmittel. Ich würde die Frage anders beantworten: die ­Zukunft gehört keinem Vehikel, sie ge­hört dem Menschen. Der Mensch hat eine besondere Fähigkeit, die er eben nicht nur für sich selbst ausüben kann: Er kann Zukunft gestalten, für sich allein und gemeinsam für andere und mit anderen. Ich erhebe daher den Anspruch, eine gemeinsame regionale Perspektive zu entwickeln, die vor allem den Menschen und seine Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, die Qualität als Grundvorrausetzung jeglichen Planens und Bauens auf die gleiche Ebene setzt und dabei nicht vergisst, dass damit ein hoher Gestaltungsanspruch einhergeht. Das Fahrrad respektive Fahrradmobilität als Schlüsselelement in einem intermodalen Verbund bietet sich hier gerade zu an.

Georgios Kontos