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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Zwischen Heiligendamm und Swinemünde

Klaus Störtebeker war schon da, der Schwedenkönig Gustav II. Adolf auch, ebenso der Maler Caspar David Friedrich, Fürst Malte von Putbus und Wernher von Braun.

Von links: im Hafen von Stralsund; Flaschenladen in Graal-Müritz (mit Autor)
Fotos: Günther Gräning

Ab dem 13. Juni 2016 wollen auch wir neun – Gerhard, Hansi, Klaus und Wolfgang aus dem Saarland, Emil aus Hanau, Rüdiger aus München sowie Alfred und Walter aus Liederbach und ich – die Gegend auf dem Fahrrad bereisen, um nach dem Rechten zu sehen. Möge der folgende Text der Erheiterung und Belehrung etwaiger Nachahmer dienen!

Die Anreise
Wegen eines kaputten Stellwerks am Rhein kommen die Saarländer mit vier Stunden Verspätung abends nach 21.00 Uhr in Rostock an. Emil, Alfred, Walter und ich reisen gemeinsam und treffen Rüdiger aus München. Walter, Alfred und Emil haben die Rückfahrt am 22.6. noch nicht gebucht, folgen aber dennoch nicht meinem Rat, das sofort bei Ankunft in Rostock nachzuholen: ein Fehler, wie sich zeigen wird. Wir essen auf einem Schiff im Hafen und erhalten einen Schnaps geschenkt. Er habe zuviel davon, sagt der Wirt.

Molli und Möwen
Am nächsten Tag geht es ohne Gepäck in Richtung Westen. Ich fahre vorne, Klaus hinten, obwohl er ein Navigationsgerät hat, ich nicht. Folge: Wir verfahren uns zwischen Rostock und Bad Doberan. Plötzlich ist Hansi weg. Schlimmer noch: Meine Schaltung hat Macken. Zufall: Wir treffen im leichten Regen einen Radtourenleiter mit 30jähriger Erfahrung, der uns rettet und den Weg nach Bad Doberan weist. Hansi ist vor uns in Bad Doberan. Die Kleinbahn "Molli" dampft mitten durch die Hauptstraße. Heiligendamm ist so weiß und leer wie immer. In Warnemünde gibt's Fischbrötchen und gleichzeitig Warnungen vor den Seemöwen, die so groß sind wie kleine Hunde. Regen begleitet uns bis Rostock. In der Kneipe "Am Alten Hafen" bewältigt die Wirtin alles gleichzeitig: Ausschenken, Kochen, Servieren, Kassieren. Neben uns sitzen zwei Damen, die nicht wissen, ob sie aus Sachsen oder Thüringen kommen. Klaus Störtebeker ist allgegenwärtig, denn das Bier heißt so.

Geisterwald in Warnemünde
Foto: Günther Gräning

Die Usedomer Bäderbahn
Mit Gepäck weiter über Graal-Müritz nach Ribnitz-Damgarten. Walter macht am Bahnhof einen dritten Anlauf zum Kauf einer Rückfahrkarte ab Swinemünde, vergeblich: Niemand kennt den Ort. Vier (Hansi, Gerhard, Klaus, Wolfgang) fahren direkt auf der Straße mit Regen nach Stralsund. Fünf (Rüdiger, Emil, Walter, Alfred und ich) fahren ohne Regen bis Barth und von dort mit der Usedomer Bäderbahn nach Stralsund. Rüdiger, ständig in Gefahr, seine Pfeife oder den Tabak liegen zu lassen, unterschreibt im Zug eine Petition zur Erhaltung der Bäderbahn Barth-Stralsund. Wir kaufen fünf einzelne Fahrkarten (keine Gruppenkarte) zwecks Erhalts der Bahn, damit wir später damit von Swinemünde zurückfahren können. In Stralsund will Walter Fahrkarten für die Rückfahrt ab Swinemünde kaufen. Nach einer guten halben Stunde hat er sie; er muss aber mit Alfred und Emil schon am 21.6. zurückfahren, weil es am 22.6. keine Fahrradplätze gibt.

Hansis Helm
Ohne Gepäck von Stralsund nach Putbus auf Rügen. Fürst Maltes weißes Rondell wird begutachtet. Wichtiger ist der Bahnhof, weil es dort Nahrung gibt. Wir beobachten Rangierarbeiten mit einem Schmalspur-Dampfzug des "Rasenden Rolands", der sich von hier bis Lauterbach auch der Normalspurbahn bedient. Nach einem kurzen aber heftigen Regenguss geht es über Stock und Stein nach Binz. Gerhard fotografiert die berühmten Kreidefelsen in weiter Ferne am Horizont. Ich will den Süddeutschen die "Kraft durch Freude"-Ruinen in Prora zeigen, jedoch gehen Hansi und Alfred vorher verloren und nehmen den Zug zurück nach Stralsund ab Prora-Ost. Hansi verliert seinen Radhelm im Bahnhof, der landet nämlich unterm Zug im Gleis und liegt dort vermutlich immer noch. Klaus radelt alleine nach Rostock zurück, der Rest fährt mit dem Zug ab Sassnitz.

Radd oder Raad?
Eigentlich wollen wir den Westen Rügens besuchen, aber da es leicht regnet, bleiben wir in Stralsund und fahren ohne Gepäck durch die Innenstadt. Hansi erwirbt einen neuen Helm mit rot blinkender Leuchte hinten. Ich will meine Schaltung richten lassen. Alles ist verölt und verdreckt, so dass ich mich für eine neue Kette und Ritzel entscheide. Auch beide Pedale müssen erneuert werden. In der Zwischenzeit informieren wir uns über Sanddorn und verzehren "Pommersche Rauchwürste". Abends meint Hansi, es müsse "Raad" heißen, nicht "Radd", wie ich es nenne. Wir können uns nicht einigen, daher kritisiere ich, dass die Saarländer den schönen deutschen Endungen auf "en" das "n" stehlen: "Laafe" statt "laufen". Ich erinnere daran, dass Schiller am Beginn seiner "Ode an die Freude" sagt "..schöner Götterfunken", obwohl es "Götterfunke" heißen müsste, alles nur des Wohlklanges wegen. Wie er denn als Chorsänger ohne die klingende Endung "en" auskomme und was sein Chorleiter dazu sage. Er singe auf Hochdeutsch, sagt Hansi. Das glaube ich nicht!

Ruine Eldena und Paddelrennen
Es geht mit Gepäck 40 km auf breiter Pflasterstraße parallel zur Bundestraße nach Greifswald. Nachmittags ist noch Zeit für einen Ausflug am Ryck zur historischen Klappbrücke und zur Klosterruine Eldena, die Caspar David Friedrich gemalt hat. Rüdiger freut sich als alter Ruderer über viele Boote und Paddelrennen auf dem Ryck.

Punk in Peenemünde
Ausflug ohne Gepäck zur Insel Usedom und zum ehemaligen Raketenversuchsgelände in Peenemünde. Es geht über so bekannte pommersche Dörfer wie Kemnitz, Stilow, Gustebin, Konerow, Pritzwald, Latzow und Nonnendorf nach Freest zur Fähre. Während der Fahrt zum Hafen Peenemünde erfahren wir vom Schwedenkönig Gustav II. Adolf, der im Dreißigjährigen Krieg hier gelandet ist, um dem Religionskrieg eine Wende zu bringen. Raketen-Wernher (v. Braun) würde sich wundern, könnte er die kilometerweit zu hörende "Musik" mit ihrem hämmernden Beat hören und das feiernde seltsame Volk auf seinem Versuchsgelände sehen. Das russische U-Boot im Hafen hat schon erhebliche Löcher im Rumpf. Die Fähre bringt uns zurück nach Freest, unsere Räder tragen uns über Lubmin wieder nach Greifswald. Emil hat heute zwei Defekte am Rad.

Der Grosz
Weiter mit Gepäck über Wolgast, Zinnowitz auf Usedom und die lange Kette von Ostseebädern immer strandnah im Wald bergauf und bergab bis über die polnische Grenze nach Swinemünde zum Bahnhof. Gerhard möchte Rüdiger, Alfred, Emil und Walter den Weg zum Bahnhof zeigen, denn die vier müssen uns schon am nächsten Tag früh verlassen, um mit der Usedomer Bäderbahn über Wolgast gen Süden zu reisen. Dann geht es weiter zum Fischerdorf Kamminke auf deutscher Seite, wo wir im Ferienpark "Seepferdchen" am äußersten Zipfel Deutschlands hausen. Ich habe Hunger und esse schon nachmittags am Hafen eine Scholle; die anderen kaufen abends für "Räucherfisch satt" ein. Ich muss vorübergehend allein zechen und sehe vor dem Biertresen etwas Kleines, Rundes und Goldfarbenes liegen. Es ist tatsächlich ein polnischer "Grosz"! Das ist in Polen die allerkleinste Münze in doppeltem Sinne: für 1/100 Zloty bekommt man nichts, und der Grosz ist so klein, dass er überall durchschlüpft. Meinen ersten Grosz erhielt ich auf einer Radtour in Karpacz (Krummhübel) an der Schneekoppe. Da ich damit nichts anzufangen wusste, mischte ich die kleine Münze unters Trinkgeld. Die Kellnerin fischte sie zielsicher heraus, gab sie mir zurück und sagte, die gebe man nicht weg, sondern man behalte sie stets im Geldbeutel. Leider ging mir der Grosz verloren. Auch mein zweiter Grosz, den ich ausgerechnet auf der Lagerstraße in Auschwitz fand, war schnell wieder weg. Und nun der dritte! Ich werde ihn hüten wie meinen Augapfel!

Ein Segelschiff der Jugendbegegnungsstätte Golm fährt abends im Hafen Kamminke hin und her und kann nicht ankern wegen des Windes (sagt Rüdiger, der Fachmann). Schließlich legt es dort an, wo morgens um 9 Uhr auch das Schiff aus Ückermünde ankommt. Das bedeutet für die jugendliche Besatzung frühes Aufstehen und Ablegen ...

Hausschuhe und Sanddorn
Alfred, Emil, Walter und Rüdiger müssen am Morgen früh weg. Gerhard fährt zum Polenmarkt nach Swinemeünde, wir anderen eine Runde über Usedom, außer Hansi, der hat am Abend zuvor zu viel Räucherfisch gegessen und kränkelt. Gerhard kauft auf dem Polenmarkt die gleichen Hausschuhe wie vor zehn Jahren, weil die so stabil waren, und zwei Flaschen Sanddornschnaps und -likör.

Die Heimreise
Wir fahren sieben Kilometer von Kamminke nach Swinemünde zum Bahnhof. Start mit dem Zug um 10 Uhr. Gerhard, Hansi, Klaus und Wolfgang fahren über Berlin, ich über Hamburg. In Stralsund habe ich genug Zeit, um auf dem Markt zwei Flaschen Sanddornsaft zu kaufen. In Hannover treffen wir uns im Zug wieder. Die Fahrt an die Saar dauert bis nach Mitternacht.

Günther Gräning, Juni 2016