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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

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Ein Tipp für geübte Genussradler!

Auf der "Avenue Verte" zwischen London und Paris

Bild zum Artikel Wir sind am Londoner Ende der Avenue Verte: die historische Albert-Bridge
Foto: Bertram Giebeler

Ganz Westeuropa hat nur zwei Metropolen von globalem Rang: London und Paris. Und die liegen gerade mal 350 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt.

Da liegt die Überlegung nahe, sie mit einem Radweg touristisch miteinander zu verknüpfen, wobei der Ärmelkanal an günstiger Stelle zu überqueren ist. Seit zwei Jahren gibt es nun die "Avenue Verte London - Paris". Grund genug für uns, diese Strecke mal auszuprobieren.

Die knifflige Bahn-Logistik mit Fahrrädern in Frankreich wollten wir uns nicht antun, also Räder in den Kombi und auf nach Dieppe, dem französischen Fährhafen der Strecke. Dieppe findet als Badeort sein Hauptklientel in den Industriestädten Nordfrankreichs, hat einen breiten Kiesstrand und Unmengen günstiger Fischlokale mit "Moule-Frites" in allen Variationen. Von Dieppe fuhren wir als erstes über den Kanal nach Newhaven, um den englischen Teil der "Avenue Verte" zu testen.

Der englische Teil der Avenue Verte:
Vom (insgesamt uninteressanten) Newhaven wären es direkt eigentlich keine 100 Kilometer bis mitten nach London. Der Radweg verläuft aber über etwa 150 Kilometer S-förmig. Er nutzt dabei drei umgebaute alte Bahntrassen und versucht generell, den Kontakt zum Kfz-Verkehr so weit es geht zu vermeiden. Auf den ersten Blick kann man diese Umwegigkeit übertrieben finden, aber es macht Sinn: Südostengland ist eine der wirtschaftlich aktivsten und am dichtesten besiedelten Regionen Europas, vergleichbar mit Rhein-Ruhr oder der Lombardei. Der Autoverkehr ist immens, auch auf den kleinen Straßen. Für einen touristischen Radweg, der sich an geübtere Radfahrer richtet, ist das Konzept OK.

Warum "geübtere Radfahrer"? Erstens sind einige Off-Road-Passagen regelrecht trailig und bei schlechtem Wetter schwierig zu fahren. Die blau-weiße Beschilderung von Sustrans (radtouristische Lobbyorganisation) ist im Großen und Ganzen gut, erreicht aber nicht die Qualität der Beschilderung der hessischen Radfernwege (ein Cheers auf den dafür zuständigen ADFC Hessen!), man muss manchmal schon sehr genau nach den Schildern suchen. Dann die kurzen aber zahlreichen Steigungen: da es in Südostengland nur ganz selten schneit, sieht der britische Straßenbauingenieur keinen Grund, Steigungen zu vermeiden oder mit Serpentinen abzusoften. Auch Durchtrainierte dürfen sich daher darauf freuen, das volle Spektrum ihrer Gänge ausfahren zu können.

Kurzbeschreibung der ­englischen Strecke:
Von Newhaven Radweg 2 bis Ortsrand Polegate: eher leichtes Terrain. Ab Polegate Radweg 21, zunächst auf alter Bahntrasse "Cuckoo-Trail". Belag holprig. Zwischen Heathfield und Groombridge einige Trails und steile Straßenpassagen. Ab Groombridge bessere Bahntrasse bis East Grinstead. Von dort bis Crawley wieder Bahntrasse. In Crawley hakelige Ortsdurchfahrt, direkt vorbei am Gatwick Airport.

Kurz hinter Redhill gilt dann der Radweg 20. Nach Überquerung der Londoner Ringautobahn M25, auf einer schönen Panoramastrecke hinter Chaldon, erster Blick auf die Wolkenkratzer der City. Ab da sind wir in Greater London. Geschickte Wegführung durch die wohlhabende südliche Suburbia bis nach Morden. Ab dort folgt der Radweg sehr hübsch als "Wandle Trail" dem kleinen Wandle River, der bei Wandsworth in die Themse fließt. Wandsworth ist schon sehr citynah, noch drei bis vier Kilometer bis zum Ende des Radwegs an der Albert Bridge am Battersea-Park.

Bild zum Artikel In der Ile de France steigt die Château-Dichte: hier Schloss Chantilly hinter Senlis
Foto: Bertram Giebeler

Etappen-Tipps:
Hailsham hat den Pub "Corn-Exchange" mit ein paar Zimmern, Pub-Food und gepflegtem Bier. Man kann aber auch in Newhaven erst mal ein Zimmer beziehen und dann mit dem Bus für den Abend nach Brighton fahren, ein interessanter Badeort mit schriller Szene ("London by the sea"). Ein hübscher Etappenort wäre dann East Grinstead. Wir übernachteten in Redhill, das immerhin einen riesigen Pub zu bieten hat – sonst nichts. Wer nicht mit vollem Gepäck mitten nach London will, findet kleine Hotels und U-Bahn-Anschluss im Stadtteil Wimbledon.

Radfahren in London:
Bei aller Bewunderung für die Energie, mit der in London die Radverkehrs-Infrastruktur ausgebaut wird: unsicheren Radlern ohne Ortskenntnis würden wir eher von dem Versuch abraten, hier einfach mal so einen Radbummel zu machen. Wir kennen London und sind stadtverkehrsgestählt, kamen aber dennoch hin und wieder an unsere Grenzen. Es gibt 7 Cycle-Superhighways und viele "Quietways" in ruhigen Straßen, aber in einer Stadt von der achtfachen Fläche Frankfurts kommt man mit dieser Infrastruktur nicht immer in Berührung. Der Alltags-Mischverkehr hat dann doch viele Stressfaktoren, darunter riesige Kreisverkehre mit drei und mehr Fahrspuren. Rad Fahrende in London sind typischerweise erwachsen, durchtrainiert, entschlossen und furchtlos, und wissen genau, wo es hin- und lang geht. Toughes Radfahren hat Kultstatus bei einer durchaus großen Szene von Professionals in den Inner-City-Boroughs. Dazu kommen noch tausende (!) Bromptonauten, die mit ihren Falträdern per Vorortzug in die City fahren und dort die letzte Meile weiterradeln. Pedelecs sind etwas für kontinentale Weicheier, man sieht sie in London kaum.

Rückfahrt in England:
Wer nicht denselben Weg wieder zurück fahren will: Der Radweg 20 direkt nach Brighton ist zwar verkehrssicher, ansonsten aber so ziemlich die hässlichste Piste, die man sich denken kann, immer direkt an der autobahnähnlichen, teilweise sechsspurigen A 23 Brighton-London. Besser gleich mit dem Zug bis Brighton. Von dort ist das kurze Stück Küstenradweg 2 nach Newhaven wieder attraktiv.

Der französische Teil der "Avenue Verte" von Dieppe nach Paris:
Der Besucherparkplatz des Fährhafens in Dieppe ist ein ganz guter Ort, um ein Auto stehen zu lassen, denn dort ist rund um die Uhr Publikumsverkehr. Wir wechselten also nur etwas Wäsche, nahmen Campinggerödel auf (in Frankreich mit seinen 9.000 Campingplätzen campen wir gern) und ließen das Auto gleich wieder dort stehen, um uns Richtung Paris aufzumachen. Der französische Teil der Avenue Verte gabelt sich 85 Kilometer hinter Dieppe in zwei Varianten, eine südliche direkt in die Ile de France und eine längere nördliche mit einem Schlenker durch die Picardie über Beauvais. Wir entschieden uns für die Hinfahrt für die längere Strecke.

Kurz hinter Dieppe geht die Avenue Verte auf einer wunderbar glatt asphaltierten alten Bahntrasse für gut 50 Kilometer schnurgerade durch die Normandie. Der Unterschied zum dichtgedrängten Südostengland ist schon krass: die Normandie ist eine dünn besiedelte kleinteilig-hügelige Agrarlandschaft mit den Hauptprodukten Streuobst und Kuhmilch. In Forges-les-Eaux hört der Bahntrassenkomfort erst mal auf, es geht im munteren Auf und Ab durch die Dörfer bis hinter Gournay, zum Punkt wo sich die zwei Varianten gabeln.

Die von uns gewählte Langversion startet hinter Gournay wieder auf einer Bahntrasse bis Beauvais, der Département-Hauptstadt von Oise. Hier, in dieser eher unscheinbaren netten Kleinstadt, die sich auch als Etappenziel eignet, sollte im 13. Jahrhundert die größte Kathedrale der Christenheit entstehen. Die Baumeister überschätzten die Möglichkeiten hochgotischer Architektur, das Längsschiff der Kathedrale stürzte zweimal ein, ein 110 Meter hoher Mittelturm ebenfalls. Außerdem führte die Ausbeutung der ganzen Region für den Kathedralenbau zu blutigen Bauernrevolten. Übrig blieb das Querschiff und der Chor, mit 48 Metern Innenhöhe immer noch die höchste gotische Raumkonstruktion überhaupt. Sie muss heute abgestützt werden, lässt aber jeden Besucher (un)gläubig erstaunen.

Es folgen gut 50 Kilometer bis Senlis, teils auf eigener Trasse, teils auf Straßen, sanft hügelig, vor Senlis einmal eine stramme Steigung. In Senlis (frühgotische Kathedrale) ist der Ballungsraum Paris schon erreicht, direkt wären es nur noch gut 30 Kilometer bis in die Metropole. Die Avenue Verte wechselt aber hier die Richtung, führt wieder zurück nach Westen über Chantilly (großes Schloss mit Park, Namensgeberin der Schlagsahne in Frankreich) an die Oise und genehmigt sich vier Schleifen an Oise und Seine über 120 Kilometer bis Paris. Bei Cergy am Rand der Pariser Banlieue vereinigt sich die Strecke wieder mit der Süd-Variante der Avenue Verte.

Diese Schleifenfahrt ist ganz hübsch und auch verkehrssicher, teilweise sogar autofrei. Sie führt durch ein paar schöne Luxusvororte des Pariser Westens, aber irgendwie verfehlt sie das Thema (London-Paris), die krampfhafte Straßenverkehrsvermeidung führt zu übertriebenem Zickzack, und die im Département Val-d'Oise mangelhafte Ausschilderung macht die Wegsuche ohne GPS-Track anstrengend. Wir fuhren passagenweise frei nach Michelin-Karte – die stimmt immer. Man erreicht Paris von Norden her über St. Denis (Kathedrale, Nationales Stadion "Stade de France") entlang der Kanäle.

Radfahren in Paris
Wir hielten uns in Paris nicht lange auf – unter anderem wegen 37° C Hitze. Da macht das Radfahren nicht so richtig Spaß in einer Stadt, die fünfmal so dicht besiedelt ist wie Frankfurt. Man kann die erheblichen Anstrengungen der letzten Jahre unter den fahrradbegeisterten Stadtoberhäuptern Bernard Delanoé und Anne Hidalgo durchaus sehen und erleben. Es gibt ausgeschilderte Radrouten, Busspuren sind für Radfahrer frei. Allerdings sind die Radwege oft eng und schlecht, außerdem ist das Leihrad-System Velib gerade in einer schweren Krise, was Anne Hidalgo politisch zu schaffen macht ("le scandale Velib"). Der Typus der Rad Fahrenden in Paris und deren Tempo ist weit weniger athletisch als in London.

Angekommen in Paris, am
Canal Saint Martin, sogar auf separierter Radroute
Foto: Bertram Giebeler

Rückfahrt in Frankreich
Wir fuhren jetzt die Süd-Variante, wollten aber die Seine-Oise-Schleifen nicht ein zweites Mal fahren und nahmen den Vorortzug bis Cergy. Auf dem folgenden 40 Kilometer langen Abschnitt ignorierten wir teilweise die Routenbeschilderung, weil uns die Verkehrsvermeidung ständig auf Geröllpisten führte. Das nervt, besonders bei Hitze, wir fuhren lieber Straße. Am Flüsschen Epte kommt dann wieder eine Bahntrasse bis zur Kleinstadt Gisors, die sich als Etappenziel anbietet. Hinter Gisors auf und ab über die Dörfer, nach 25 Kilometern bei St. Germer (Kloster mit schöner Klosterkirche) vereinigt sich die Strecke wieder mit der Nord-Variante. Zurück wieder 85 Kilometer nach Dieppe. Auto stand noch da, Hotelzimmer gab es noch, Moule-Frites auch.

Fazit:
Die "Avenue Verte London - Paris" wird zwar keinen Massen-Radtourismus wie an Elbe und Donau generieren, aber sie hat durchaus Potential. Es kamen uns insbesondere in Frankreich eine Menge Reiseradler entgegen. Sehr aktiv sind Radreiseveranstalter aus Italien wie Girolibero und Verde Natura, deren Radlergrüppchen wir öfters überholten – man traf sich im Cafe des nächsten Städtchens wieder.

Eine Kritik haben wir am französischen Teil: Die Routenbetreiber sollten irgendwo hinter Senlis einen direkten Weg nach Paris ausbaldowern und die Nord-Variante dadurch um eine gute Tagesetappe verkürzen. Die Seine-Oise-Schleifen wären dann der Süd-Variante vorbehalten, das reicht. Außerdem merkt man, dass die Qualität der Ausschilderung und der Routenpflege, insbesondere in Frankreich, stark von den regionalen Behörden abhängt. Eine regelmäßige Zertifizierung der gesamten Strecke, etwa wie sie der ADFC in Deutschland im Auftrag der Routenbetreiber durchführt, wäre für die Zukunft wichtig, sonst "verbuschen" unweigerlich Teile der Avenue Verte. Eine Aufgabe für den ECF, den europäischen Radfahrerverband.

Bertram Giebeler

Sehr nützliche Reiseinfos bietet die interaktive Website avenuevertelondonparis.co.uk