Doppelt hält besser
Mitunter bin ich kulturell und historisch sehr beflissen. So treibt es mich im November nach Leipzig (zugegeben: per Auto), dort dann morgens (mit dem Fahrrad) von der Jugendherberge am alten Messezentrum vorbei zum Völkerschlachtdenkmal, trotz leichten Schneeregens. Besichtigen will ich den steinernen Koloss von außen und innen, doch ach!� ich habe mein Faltschloss zu Hause vergessen und kann mein Rad nicht sichern! Was nun tun?
Doppelt hält besser: mit neuem Faltschloss und Aufkleber der Polizei Leipzig kommt mein Rad (hoffentlich) nicht mehr weg
Foto: Günther Gräning
Ich grüble (nicht ganz im Ernst): Ich stehe ja mitten auf dem ehemaligen Schlachtfeld von 1813; hier wurden den Berittenen reihenweise die Pferde unterm Hintern weggeschossen, weil die ein größeres Ziel boten als ihre Reiter. Und hat nicht unmittelbar nach den napoleonischen Kriegen im Jahre 1817 der Freiherr von Drais in Karlsruhe sein hölzernes Laufrad, den Vorläufer des Fahrrads, in Betrieb genommen als Ersatz für die Pferde, die erschossen wurden oder die man aus Mangel an Hafer schlachten musste? Das Ding sah einem Gaul sehr ähnlich – bis auf den fehlenden Schwanz. Was ist, wenn ein versprengter, übriggebliebener Husar, Kürassier oder Dragoner mein unangeleintes Fahrrad wieder zum Pferd ernennt und darauf "per viam regiam" hinter den fliehenden Truppen Napoleons her reitet? Nicht auszudenken!
Also: Ein Schloss muss her!
Ich fahre rund 500 Meter zurück zur alten Messe, vorbei an dem riesigen Doppel-M aus DDR-Beton. Der große Fahrrad-Tempel dahinter mit allem, was das Radlerherz begehrt, ist aber kurz vor 10 Uhr noch geschlossen. Direkt davor steht ein schwarz gekleideter Mensch neben einem Hocker und einem Campingtisch im leichten Schneeregen. Er sei ein Hilfspolizist, sagt er mir, registriere für die Polizei Fahrräder und versehe sie mit dem Aufkleber der Leipziger Polizeidirektion, das alles kostenlos. Leipzig sei eine Hochburg des Fahrradklaus (kein Wunder, siehe oben). -- Mein Rad sei aber schon registriert und codiert, sage ich, und zwar von Alfred Linder aus Frankfurt. Der gehöre, genau wie ich, zum Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Ob er den Alfred kenne? – Nein. – Das sei zwar nicht strafbar, sage ich zu ihm, aber durchaus sträflich. Denn Alfred Linder sei sozusagen der Papst aller Fahrradcodierer. Ob er kurz auf mein Rad aufpassen könne? – Na klar!
Ich bin der erste Kunde im Tempel an diesem Tag und erwerbe ein Faltschloss. Als ich wieder ins Freie trete, hat sich das schwarz gekleidete Personal auf zwei verdoppelt. Ich montiere die Halterung für das Schloss unter aufmerksamer Beobachtung durch die Hilfspolizisten. Mir tun die beiden leid, denn es herrscht noch immer leichter Schneeregen. Also sage ich: Damit ihr Arbeit und einen Tätigkeitsnachweis habt, dürft ihr gerne mein Rad noch einmal registrieren und bekleben. Wie sie jetzt beide strahlen! Ich zeige meinen Personalausweis und unterschreibe ein Formblatt mit meiner Adresse und den Daten meines Rades. Das Rad wird aus zwei Richtungen fotografiert und erhält vorne dicht am Lenkerschaft einen Aufkleber der Polizei Leipzig. Jetzt ist mein Rad doppelt gesichert, mit dem neuen Schloss sogar dreifach! Zusätzlich erhalte ich ein Zertifikat des "Kriminalpräventiven Rats der Stadt Leipzig". Ich bedanke mich vielmals und radle voller Stolz zurück zum Völkerschlachtdenkmal. Jetzt steht seiner (durchaus mühsamen!) Ersteigung nichts mehr im Wege.
Ihr Dragoner, Kürassiere und Husaren: Besorgt euch gefälligst richtige Pferde!
Günther Gräning