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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Wenn die Weinberge weinrot glühen …

Ein herbstlicher Ausflug an den Rhein

"Warum ist es am Rhein so schön … " Herbststimmung bei Lorch
Foto: Andrea Maier-Pazoutova

Durch gelb leuchtende Laubwälder im Taunus radeln wir unter stahlgrauem Himmel Richtung Westen, auf feuchtnassen Wiesen bei Fischbach, die leider verkehrsreiche Steigung nach Bremthal, auf und ab nach Rambach und dann nur noch runterrollen, nördliche Vororte von Wiesbaden sind durch einen Pfad am grünen Waldhang verbunden, der sich zu einem Parkweg mausert und an eleganten ­Jugendstilvillen bis zur Spielbank führt. Ein glanzvolles Entrée bietet die Kurstadt auch an einem grauen Oktobertag. Enge Altstadtgassen, gepackt mit bummelnden Fußgängern, führen uns in die hiesige Fressgass', wo sich fünf Restaurants mit Mittagsmenü für 9,90, Getränke inklusive, überbieten. Da taue ich gerne bei Blinis und Zuccholoni mit einem Glas Wein auf.

Weiter führt uns die schon oft gefahrene Strecke zum Biebericher Schloss, wo letztes Mal ein Reitturnier vorbereitet wurde. Am Rhein entlang nach Eltville, die Wellen streicheln sanft die kleinen Kiesstrände, Parkbänke mit Aussicht auf die weite nasse Fläche, ein einsamer Surfer dreht geschickt seine Runden im Wasser. Der Radweg führt uns nach Rüdesheim ins Hotel Traube, verwinkelter Bau direkt am Rheinufer an der bevölkerten Promenade mit Geräuschkulisse der Fernzüge. Aber es gibt auch Zimmer nach hinten, da öffnet sich der Blick auf eine imposante Jugendstilkuppel des Nachbargebäudes, dicht besetzt von unzähligen Tauben, dahinter ein Farbrausch der Weinberghügel bis zum Niederwalddenkmal.

Es ist eine Landschaft märchenhafter Urwälder, üppig bewachsen mit Moos, Kulturlandschaft mit alten Bruchsteinmauern aus rheinischem Schiefergestein und mit ungewöhnlicher Dichte geschichtsträchtiger Bauten von kargen Ruinen bis zu gut erhaltenen Burgen oder Klöstern.

Probieren geht über studieren, auch und ­gerade beim Wein …
Foto: Andrea Maier-Pazoutova

Die Landschaft erkunden wir am nächsten Tag bei der Tour durch herbstliche Weinberge, die in allen Schattierungen von leuchtendgelb bis burgundrot glühen. Der Rhein glänzt dazwischen, weit unten im Tal, wie eine mächtige milchige Lebensader, die Güterschiffe treibt und an deren Saum sich Autos und Züge in Spielzeuggröße hin und her bewegen. Wir überqueren mit Laubteppich bedeckte Pfade unter dichten Baumkronen, die uns geschwungen hoch auf nacktbraunen Acker mit Reststoppel führen und durch die gelbe Pracht wieder runter zum glitzernden Ufer, das leider von Autoverkehr begleitet wird. Tolle Aussichten auf Burg Pfalzgrafenstein, "das steinerne Schiff", einst lohnende Zollstelle am Rhein, dann flüchten wir wieder in den Wald. Der Weg verengt sich, schroffe Felsen auf dem Rheinsteig sind trügerisch, einige Parts zwingen uns zu kletterähnlichen Auf- und Abstiegen, mit Drahtseil gesichert, mit Felsblöcken gefliest, mit Fahrrad balancierend anstrengend. Aber es ist unser Risiko, das Touristenbüro hat uns gewarnt. Ein weiterer Abschnitt führt uns wieder runter zum Wasser, wir bleiben da, lassen hier auch die Fahrräder und steigen zur Loreley per pedes. Irgendwie habe ich diese legendäre Gestalt der deutschen Geschichte in Stein gemeißelt erwartet, aber es ist besser, dass sie unserer Fantasie freien Raum lässt und sich hier nicht konkretisiert als Werk eines Künstlers präsentiert. Bestimmt hat sie verschiedenste Formen in den Köpfen der Chinesen, die hier pausenlos alles fotografieren, aber ein Merkmal bleibt wohl konstant, ihr langes blondes Haar.

Die Fähre bringt uns in St. Goar auf die geschäftigere Seite des Flusses, ein altes Café dekorierte sein Schaufenster mit Kaffeekannen aus den Sechzigern, aber drinnen ist es wieder fest in chinesischer Hand, also entscheide ich mich für Tortenstücke zum Mitnehmen, die werden am Rheinufer in der Nachmittagssonne verspeist. Der Radweg direkt neben der Bundesstraße, der Geräuschpegel ist hoch, erst hinter Bacharach bleibt er wieder eigenständig am Ufer entlang und streift ab und zu den alten Baumbestand. Wahrschau-Signale mit beleuchtbaren Dreiecken führen die langen Frachtschiffe in kurvigen Gewässern des Mittelrheins, in dem sich ein quer verlaufendes Riff versteckt. Bingen rückt näher, der Mäuseturm ragt aus dem Wasser, Bingen hat seine grüne Lunge direkt am Ufer verbreitet, als Erinnerung an die Landesgartenschau, und die wird auch an einem milden Oktoberabend gerne von Einheimischen wahrgenommen. Mit der Fähre nach Rüdesheim übersetzen, mitten in die für Touristen dekorierte Altstadt mit einem Federweißen-Fest. Die amateurhafte Musikbegleitung verscheucht eher die Besucher, mich bestimmt, lieber einen Federweißen in Miniformat in der vorabendlich noch leeren Drosselgasse, nach 70 km auf und ab locken eher die Pooldüsen und mein gemütliches Bett. Und da weiß ich noch nicht, dass ich am nächsten Tag die Rückfahrt abwechslungsreicher gestalte, noch ein paar Weinberge gefällig, durchs hügelige Hinterland mit Kloster Eberbach mit Gepäck radelnd. Danach die übliche ebene Rhein-Main-Radstrecke von Wiesbaden bis Flörsheim, Zick-Zack auf der Regionalparkroute und zum Schluss in Bad Homburg haben wir 90 km auf dem Buckel.

Andrea Maier-Pazoutova