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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Brief an einen Freund

In einem Beitrag in der FAZ wurde Ende Januar über ein kanadisches Luxushotel berichtet, in dem Radtouristen mit großer Selbstverständ­lichkeit empfangen wurden. Die Fahr­räder nahm das Hotelpersonal entgegen und brachte sie sicher unter­. Der FAZ war dies eine kurze Nachricht wert, die bei mir eigene Erinnerungen wach rief.

Noble Herberge in Toulouse, in der Radtouristen willkommen sind
Foto: Peter Sauer

Lieber B.,

vielen Dank für deine Zeitungsausschnitte aus der Fahrradwelt, über die ich mich immer sehr freue. Der letzte FAZ-Schnippsel soll nicht ohne Antwort bleiben.

Es ist erfreulich, dass in Vancouver Fahrradfahrer auch in Luxus­hotels behandelt werden wie ganz normale Touristen, die sich in diesen teuren Schuppen einmieten. Das war vor vielen Jahren noch anders. Ich erinnere mich an eine Regenfahrt nach Rom, bei der wir (meine damalige Freundin und ich) auf der Zimmersuche fast verzweifelten. Jung, bärtig (nur ich), klatschnass und Fahrradfahrer – das reichte den Hoteliers, um uns aus der Lobby zurück auf die Straße zu schicken und hinter uns mit dem Wischmopp tätig zu werden. (Ja, liebe Kinder, man wurde damals noch nass, richtig nass, aus den Schuhen und Hosen und Taschen tropfte das Wasser und die Landkarten brauchten Tage, um wieder als solche nutzbar zu sein. Das war lange vor Ortlieb und GoreTex, selbst aus der Dreigangnabe des Tourenrades tropfte das Wasser.) Irgendwann fanden wir dann doch ein Zimmer, in dem wir die Landkarten unter dem Bett ausbreiten konnten und die Schlafsäcke langsam auf dem Schrank trockneten.

Inzwischen schrecken auch wir vor den teuren Schuppen nicht zurück (höchstens vor den dazugehörigen Preisen). In Toulouse wollten wir eigentlich auf dem Campingplatz übernachten, doch dessen Lage, weit entfernt vom Stadtzentrum, behagte uns nicht. Dazu kam, dass der Weg dorthin zwischen Autobahnkreuzen, Bahnlinien und Kanälen verlief, an deren Rand eine große Zahl von Obdachlosen in Zelten oder Hütten hausten. Der Gedanke daran, abends nach einem Stadtbesuch in der Dunkelheit durch diese Gegend zum Campingplatz zu radeln, war uns etwas unangenehm. Außerdem bevorzugen wir bei Stadtaufenthalten eine Unterkunft in Laufnähe zu den wichtigen touristischen Höhepunkten. Wir entschlossen uns deshalb, zurück in die Stadt zu radeln und im Touristenbüro nach einem Zimmer zu fragen. Dort überraschte uns dann die Dame hinter dem Tresen mit Hotelpreisen auf Frankfurter Niveau und der Auskunft, dass wegen vieler Kongresse und Veranstaltungen in Toulouse nur noch wenige Zimmer verfügbar seien. Etwas ungläubig ließen wir uns auf einen Kontrakt mit einer 4-Sterne-Herberge ein, uns selbst mit dem Gedanken tröstend, dass wir danach wieder auf Campingplätze zurückkehren könnten.

Weniger noble Herberge, die Radtouristen bevorzugen
Foto: Peter Sauer

Angekommen im 4-Sterne-Haus in bester City-Lage wurden wir umgehend gebeten, unsere vollbepackten Räder doch direkt in die Hotellobby zu schieben und dort zu entladen. Die Räder durften wir, einer Angestellten folgend, durch den Eingangsbereich schieben und per Aufzug in den Keller befördern und dort in einem verschließbaren Raum abstellen. Unser Gepäck (8 Fahrradtaschen, 2 dicke Rollen, 2 Lenkertaschen, Helme, Anoraks) lagerte derweil etwas ungeordnet unter der Aufsicht von weiterem Personal vor dem Empfangstresen des schicken Hotels. Uns zum Vorteil gereichte dabei sicherlich, dass wir, anders als in Rom damals, nicht regennass ankamen. Doch selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte man uns wahrscheinlich nicht abgewiesen.

Da wir nun schon alle so freundlich waren (das Hotelpersonal auf seine professionelle Art, wir vor Erleichterung über die gefundene Herberge), wurde uns gleich noch ein größeres Zimmer als das bestellte überlassen, ohne dafür einen erhöhten Preis zu berechnen. Und zwei Tage später, kurz vor unserer Abreise, wurden die Fahrräder vom Hotelpersonal aus dem Keller geholt und uns in der Lobby übergeben. Sie waren zwar weder geputzt noch technisch überholt, aber das hatten wir auch nicht bestellt.

Ob Toulouse wirklich keine günstigeren Zimmer zu bieten hatte, haben wir nicht mehr überprüft, zumal wir am Tag zuvor, bei der Annäherung an die Stadt, schon massive Probleme bei der Unterkunfts­suche hatten (ein Businesshotel in einem öden Gewerbegebiet war die Rettung). Doch wie zur Bestätigung der Auskunft im Touristenbüro wanderte am Abend eine ­Gruppe von Männern an unserem 4-Sterne-Haus vorbei. Voran ging eine Dame mit Schild, das sie zur Orientierung der ihr Folgenden hoch über ihrem Kopf hielt. Darauf abgebildet war eine Niere. Das waren wahrscheinlich die Teilnehmer des Urologen-Kongresses, der zum Zimmermangel beigetragen haben mag.

Es hat sich einiges verändert in den letzten Jahrzehnten. Radtouristen haben längst das Image des armen Schluckers hinter sich lassen können. Wir (du und ich) sind keine alten Leute mehr, sondern "Silver-Ager", die ihr Geld zu Ortlieb oder Stevens und Shimano tragen statt zu Louis Vuitton oder BMW.

Einer der Gründe, warum ich mich in der Schweiz immer so wohl gefühlt habe: Man wurde dort bereits vor 30 Jahren als (junger) Radtourist ganz normal behandelt, auf Campingplätzen und in Jugendherbergen genauso wie bei (seltenen) Hotelübernachtungen. Auch dann, wenn das Regenwasser aus den unverwüstlichen grünen Kar­rie­­more-Taschen (die zwar als wasser­abweisend verkauft, aber vorsichts­halber mit zusätzlichem Plastiksack ausgeliefert wurden) floss.

Ich hoffe auf weitere inspirierende Zeitungsbeiträge aus der Welt des Fahrrads.

Peter

PS: Besser als in jeder Sterne-Herberge haben wir auf dieser Reise aber im Zelt geschlafen.

Peter Sauer