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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Vogelsberger und Wetterauer Wetterkapriolen

Der Schottener Stausee lädt zum Baden ein
Foto: Andrea Maier-Pazoutova

Die 3-Tages-Tour des ADFC Bad Homburg nach Schotten und zum Hoherodskopf Ende Juli hat uns verschiedenste Wetterlagen beschert, entsprechend auch unsere Gepäcktaschen mit klimagerechter Kleidung belastet und unsere Körper wetterfest gemacht.

Es herrscht schon am Morgen tropische Hitze, als wir zur Tour nach Schotten aufbrechen. Unsere kleine Gruppe ist recht international, die Mehrheit bilden 3 deutsche Männer, 1 Frau kommt aus einem Nachbarland, die andere aus dem kleinsten und entferntesten Kontinent.

Weil ein Teilnehmer das mit Neugier auf Neues verbundene "Luftlinienradeln" des Tourenleiterehepaars befürchtet (aber das machen wir nicht mit Gepäck und ahnungslosen Tourenteilnehmern), übernimmt er die Führung und fährt entlang der Blechlawinen auf Radwegen neben der Bundesstraße nach Friedberg. Die Stimmung beruhigt sich erst auf den autofreien Feldwegen Richtung Reichelsheim, wo die hungrigere Hälfte zum Mittagstisch beim Metzger einkehrt (es gibt auch einen vorzüglichen Seelachs zum sehr moderaten Preis), ein Vegetarier unter uns betritt lieber das Etablissement gar nicht, aber er kann es mit den nicht Hungrigen in Nidda im Brauhaus nachholen. Dazwischen erleben wir auf dem R6 sanfte Hügel mit entlegenen Bauernhöfen, in denen die Zeit seit Jahrzehnten stehengeblieben ist. Und den winzigen Kurort Bad Salzhausen, wo wir im menschenleeren Kurpark bei weiter steigenden Temperaturen unsere Wasservorräte aus der sicher sehr gesunden, aber nicht gerade wohl schmeckenden Lithiumquelle nachfüllen. Ein Bummel durch den Kräutergarten, ein Kurkonzert mit karibischen Klängen passend zum Wetter (oder war es nur eine Probe?) und dann zischt das Bier durch die Kehle unter dem nicht viel Schatten spendenden Sonnenschirm auf dem Marktplatz in Nidda-Stadt. Gemächlich geht es weiter durch die liebliche Landschaft zum Schottener Stausee, in den wir auch gleich reinhüpfen, das Badewasser ist auch herrlich warm, kein Wunder bei diesem Jahrhundertsommer. Ein idyllisches Plätzchen, ein paar Leute liegen im Baumschatten, weiter entfernt von der Staumauer finden auch Hunde Abkühlung im Wasser.


Gesund, aber nicht gerade lecker: Wasser tanken im Kurpark Salzhausen.

Ruhe bewahren, auf beiden Seiten
Fotos: Andrea Maier-Pazoutova

In den malerischen Schottener Gässchen umrahmt von Fachwerkhäusern und im Schatten der Kathedrale herrschen noch subtropische Temperaturen beim Abendessen in der Pizzeria. In der Heimatstadt des "Patrone" in der süditalienischen Basilicata ist es heute angeblich 42 Grad warm.

Die heiße südländische Nacht mit ihren Straßengeräuschen macht sich noch spät bemerkbar.

Aber am nächsten Morgen ist es deutlich kühler. Das angekündigte Unwetter zieht her, aber ändert unsere Tourenpläne nicht, wir ziehen auch und zwar auf den Hoherodskopf, vorbei an der abgesperrten Strecke für das heutige Enduro-Radrennen, das hier zufällig stattfindet. Aber vorher erschreckt sich eine Kuh in der Herde beim Anblick unserer Minigruppe so stark, dass sie sich vom Hirt nicht beruhigen lässt und lieber kopflos durch den Drahtzaun springt. Sind denn Radfahrer auf dem hessischen Fernradweg eine so rare Erscheinung? Sind wir Vogelscheuche oder eher Kuhscheuche? Der Weg steigt hoch, gesäumt von gefallenen Ästen und Zweigen, Baumkronen schaukeln mächtig im lauten Wind unter dramatisch aufgetürmten Wolken, aber der Blick vom Gipfel ist einzigartig, glücklicherweise nicht in Nebelschwaden eingehüllt wie bei der identischen Tour, die wir im letzten November gemacht haben. Aber wie im November ist es kühler bei der steilen Fahrt runter durch blühende Wiesen mit mannshohem Fingerhut. Da sind wir nur noch zu zweit, der Rest unserer Gruppe zieht es vor, bei den Sturmböen gemütlich zurück ins Hotel zu fahren. Erste Dörfer erscheinen und wirken wie damals verlassen. Das stürmische Wetter hält alle zu Hause, wieder einige heftige Schauer, Regentropfen fallen fast schräg auf die menschenleeren Radwege, dunkle Wolken surfen mühelos auf dem tiefgrauen Himmel, als wir am Sandstrand des Gederner Sees plötzlich Discomusik hören und Imbiss­buden erleben, Vorbereitungen für das heutige Abendfest, ob bis dahin alles hält? Liebliches Nidder-Tal beglückt uns mit einem Regenguss, deshalb weichen wir dem frischen Matsch aus auf das Sträßchen nach Eichelsachsen, ein größerer Ort mit vielen einzeln stehenden Fachwerkhäusern, in den Fenstern Gardinen, die aus den Siebzigern zu stammen scheinen, dazwischen eine ungewöhnliche Fachwerkkirche. Noch ein Hügel zum Schottener See, eine heftige Böe fegt mich wie eine Puppe fast von der Straße. Mein Helm fliegt weg, zum Glück keine Autos unterwegs, alle Lebewesen haben sich zu Hause verriegelt. Und wir sind doch sturmerprobt, auch das ist eine Erfahrung, Radeln durch eine leergefegte Welt. Nur ein einsamer Surfer gleitet auf den plötzlich fast meerestauglichen Wellen.

Die Rückfahrt am Sonntag beginnt mit einem kühlen, aber sonnigen Morgen, nach dem Sturm wirkt alles sauber, die Farben sind intensiver, strahlend blauer Himmel wie in Frankreich nach dem Mistral. Es bläst noch ein moderater Gegenwind, als wir entlang der Nidda Richtung Frankfurt rollen, Katzen strecken sich in den Vorgärten, ihre Frauchen richten die heruntergefallenen Schilder oder halten ein Schwätzchen vor der Bäckerei, Kinder toben auf dem Ponyhof. Ein ganz normaler Sonntag im hessischen Sommer entfaltet sich in der blankgeputzten Landschaft. Und auf einmal wollen alle raus, den gestrigen Tag nachholen, die Temperatur steigt und mit ihr verdichtet sich der Radverkehr auf unserer Strecke, zuerst erscheinen sportliche Männergruppen, dann Familien mit Kindern, gemütlich radelnde Rentner in Gruppen und als Paare, jegliche Konstellation ist vorhanden und defiliert vor uns oder uns entgegen. Noch in Windjacken (Pessimisten) oder schon mit Spaghetti-Trägern (Optimistinnen) je nach dem Glauben in das Tempo der Sommerrückkehr. Der Radverkehr verdichtet sich und bildet ab und zu eine Kolonne. Einige Kilometer sause ich an allen vorbei und halte mein Gefolge ganz schön auf Trab, aber später reduziere ich mein Rauschtempo auf Normalmaß, weil wir schon mittags in Bad Vilbel sind. Da können wir ein bisschen Kultur genießen, es soll hier heute eine Graffiti-Ausstellung sein, aber das dauert noch, die Kunstwerke an der Mauer sind erst in der Entstehungsphase. Dann doch eher leibliches Wohl in Form eines Eisbechers, der Sommer ist nach den gestrigen Eskapaden zurück. Und wir haben alle Launen der Natur gut überstanden.

Andrea Maier-Pazoutova