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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

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Der Kälte entgegen

Ostertour in den Spessart

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links: Letzte Spessartausläufer: bald schüttet es!
rechts: Westerngrund – der EU-Mittelpunkt
Fotos: Andrea Maier-Pazoutova

Heigenbrücken, ein beschaulicher Luftkurort, 90 km von Bad Homburg entfernt, ist Ziel einer Oster-Radtour, die es in sich hat.

Düstere Wettervorhersage mit Temperatursturz in gefühlt arktische Grade nach dem rekordverdächtig heißen Frühlingsanfang schafft es nicht, uns am Karfreitag aufs Autofahren umzustimmen. Nee, die Beinmuskeln einspannen wie üblich, es geht doch mit der aufs Nötigste reduzierten Rucksacklast (mein Abendkleid zur Geburtstagsfeier inklusive). Dazu ist die Strecke weitgehend gnädig zu uns, als Mainuferradweg zur Kahlmündung, Kahl entlang zur hessisch-bayerischen Grenze. Verzeih Hessen, aber danach sind die Gärten einen Tick schmucker. Entlang der Kahlgrundbahn, genannt "Bembel", bisserl eintönig schon die Ebene, denke ich, als ich den Spessart am Horizont erblicke. Und es wird "mountainbikiger", wir verlassen den bequemen Kahl-Spessart-Radweg. Mein Luftlinienradeln kommt zum Einsatz, quer feld- und waldein, Schotterpiste hoch nach Eichenberg, das seinen Namen verdient, der Rucksack hüpft auf dem Rücken auf den Trails mit griffigen Waldböden, die weiter hoch zum Engländer führen, wo Motorradheulen zu hören ist. Die Restaurant-Terrasse platzt aus allen Nähten, eine Kolonne BMW-Cabrios rauscht vorbei und auf dem überfüllten Parkplatz posieren Motorradfahrer mit ihren blankpolierten Maschinen. Zum Schluss ein ungepflegter Wanderpfad runter nach Heigenbrücken, Reifen verhaken sich im Wurzelteppich zwischen engen Baumstämmen im Technik-Finetuning. Beruhigend gurgelt der Bach vor unserem Zimmerfenster im Hotel Villa Marburg und der Whirlpool im Spa, in dem wir mit Genuss alle Strapazen vergessen. Am Abend betritt ein elegant gekleidetes Paar das elegante, lichtdurchflutete Park-Restaurant, sie in einem goldschimmernden Kleid und Ballerinas zu ihrem Geburtstags-Dinner, er im Hemd und schwarzer Hose. Zu spießig, könnten ahnungslose Hotelgäste meinen, aber meine Damen und Herren, auch das haben wir auf unserem Rücken hertransportiert und genießen jetzt die Wirkung unseres Outfitwechsel-Kontrasts.

Am Karsamstag bewundern wir den ostergeschmückten Brunnen mit Buchssträuchern und Eiern in Heinrichsthal. Der ursprünglich fränkische Brauch hat sich auch in den Taunus verbreitet.

Bei Nieselregen zum Wiesbüttsee mit seltener Hochmoorflora, auf der Strecke zur Bayerischen Schanz verlieren wir Höhe und müssen uns auf einer grob geteerten Baustellenstrecke wieder hochkurbeln. Am Kachelofen trocknet die Kleidung, von innen wärmt die Kartoffelsuppe im idyllischen Fachwerkhaus, einer ehemaligen Zollstation zwischen Preußen und Bayern. Danach wird es spannend, kilometerweit durch unberührte Wälder ohne Zivilisationszeichen oder Wegemarkierung. Ein Forstarbeiter auf Krad ist eine Segnung und schickt uns über einen gemeinen Hügel nach Partenstein, von dort beschildert zurück ins Hotel. 1.200 Hm hat uns die Spessart-Topographie am 2. Tag beschert.

Am Ostersonntag ist es 5 Grad kalt, Spiegeleier und reichlich geschmierte Brötchen mit einigen der 30 hausgemachten Marmeladen, die 3 Regale füllen, bilden beim Frühstück die energetische Grundlage für unsere Rückfahrt. Glasklare, fast frostige Luft, Aufwärmsteigungen auf Schotterpisten in Eichen- und Buchenwäldern, lange Abfahrt nach Kleinkahl, vor Westerngrund überrascht uns ein großzügig gestalteter Rastplatz mit Europa-Fahnen. Es ist der Mittelpunkt der EU (hier wurde der Brexit bestimmt nicht begrüßt) mit eigenem Wanderpfad. Den erklimmen wir und radeln weiter zur hessischen Grenze bei Frohnbügel, der alte Handelsweg Birkenhainer Straße führt bequem über die letzten Bergrücken des nördlichen Spessarts und spuckt uns aus in ein buntgesprenkeltes Farbenmeer östlich von Hanau. Botanik-Wechsel: ockerbraune Feldstreifen werden von leuchtend gelben Rapsfeldern durchschnitten. Blauviolett, fast bedrohlich dunkel spannt sich der Himmel darüber und ergießt sich bald über uns. Danach wird es noch kälter, beißend feucht, fast unvorstellbar mitten in blühenden Landschaften nach den sorglosen, verschwenderisch warmen Märzwochen. An Hanau vorbei, Erlensee, Bruchköbel, Hohe Straße und ihre Windräder, wohlverdiente Picknick-Rast auf einer mit Brennnesseln zugewachsenen Holzbank mit Panorama-Blick. Auch der Drahtkorb-Mülleimer ist in der Wander-Vorsaison noch jungfräulich leer und mit Brennnesseln durchwachsen. Ein Skater mit Gleitschirm lässt sich vom Wind hochziehen, uns ziehen leider nur eigene ermüdete Beinmuskeln, die noch gegen den Wind kämpfen müssen. Es tauchen mehr und mehr vertraute Streckenabschnitte und Ausblicke auf, nur ist die Heimat heute eiskalt ungemütlich. Aber in den eigenen vier Wänden ein Berg Nudeln und heißer Tee besänftigen unsere lädierten Körper.

Fazit: eine Dreitage-Tour mit fast 245 Kilometern, 2.950 Höhenmetern und Temperaturen deutlich tiefer als zu Weihnachten.

Andrea Maier-Pazoutova