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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Bild zum Artikel Foto: Andrea Maier-Pazoutova

Schlauchwechsel in der Antike

Je mehr man radelt, desto öfter gibt es Plattfuß. Ist es wirklich so? Bei fast 10.000 km pro Jahr mit dem Mountainbike, meistens im Doppelpack mit meinem Mann, passiert es trotzdem sehr unregelmäßig. Interessanter ist für mich oft der Ort des Geschehens, wo genau kommt es zu der erzwungenen Pause. Nullachtfünfzehn-Pannen auf einer hundertmal gefahrenen Strecke sind schnell vergessen. Aber es gibt erwähnenswerte Momente, vor allem bei Radtouren im Ausland.

In Erinnerung geblieben ist eine Radpanne direkt neben der Autobahn auf der karibischen Insel St. Martin, bei höchstem Geräuschpegel und unübersichtlichem Verkehr aus allen Richtungen, eine Extraportion Hitze inbegriffen.

Wolkenbruch dagegen beim Platten in den Apfelplantagen zwischen Bozen und Meran, da helfen auch die gerade gekauften Ponchos nichts. Weiter 20 Kilometer im strömenden Regen, bei jedem Tritt in die Pedale schwappt und gluckert das Wasser in meinen Schuhen. Da ziehe ich sie lieber aus und trete barfuß in die Pedalspikes. Keine gute Entscheidung, eher ein Training für Fakire.

Insgesamt siebenmal musste Wolfgang in der Provence unsere dornenübersäten Schläuche reparieren (FFA 2/2015). Das war eine ordentliche Panne, die uns das im Winterschlaf versunkene mittelalterliche Dorf St. Julien nicht vergessen lässt. Hier ging es nicht um einen Wettkampf mit der Zeit, eher um die Sorge, wo ich hier weiteres Flickzeug bekomme. Doch auch in diesem scheinbar ausgestorbenen Dorf fand sich eine gute Seele, die uns gerettet hat.

Auch in diesem Jahr entflohen wir dem schneereichen Winter und verbrachten einige Wochen in Südfrankreich, radelnd. Kein Wunder, dass auch dieses Land einen weiteren Rekord der ungewöhnlichsten Pannen hält.

Im Januar sind die Alpilles (die kleinen Alpen) zwischen Arles und Avignon viel besser zum Radeln geeignet als die "echten". Ein kleiner Höhenzug, der sich aus der brettflachen spröden Umgebung nördlich der Camargue erstreckt, von weitem sichtbar und imposant, obwohl nur 400 m hoch. Dafür garantiert schneefrei, mit Bergsträßchen, die sich durch ausgedehnte Wälder mit betörend riechenden Aleppo-Kiefern schlängeln. Und am Südhang Olivenhaine, wohin das Auge reicht, durch die gelangen wir auf Platanen­alleen, die uns in pittoreske provenzalische Dörfer führen. Im Gegensatz zu Radtouren beim großen Bruder ist die Alpilles-Überquerung ein angenehmer Tagesausflug.

Und man kann dabei sogar in der Antike landen. So ist es uns auch passiert. Zuerst der Aufstieg zu einer der größten Burg­ruinen in Les Baux-de-Provence mit einigem Auf und Ab. Runterrauschend auf einem Waldpfad, öffnet sich dann völlig unerwartet der Blick auf eine römische Ausgrabungsstelle im Tal mit ein paar Säulen, leider eingezäunt und nur von einer neugierigen und wohl antik-affinen Katze besucht. Und wie so oft fährt mein Mann einfach weiter, diese Kulturschätze ignorierend. Zur Boulangerie nach St. Rémy, der Magen ruft nach Mittagessen. Da hat eine höhere Kraft entschieden: jetzt mal stopp! Und hat ihm tückisch und strategisch genau im richtigen Moment einen Dorn ins Hinterrad gepiekst. Und so stehen wir auf einmal auf der anderen Seite des Geländes, das völlig unrömisch von einer Landstraße durchtrennt wird und mein Mann sagt: "Ich habe einen Platten!". In einer Traum-­Location, malerisch platziert zwischen einem arkaden- und säulengeschmückten Mausoleum und einem Triumphbogen, beide trotz ihres beträchtlichen Alters von 2000 Jahren frei zugänglich und gut erhalten. Dazwischen, in der milden Januarsonne, stellt jetzt ein Radfahrer sein Fahrrad auf den Kopf und flickt geübt einen Schlauch, völlig konzentriert auf die Arbeit, die er bestimmt schon hundertmal gemacht hat. Bis auf einen Touristen, der ein Stück weiter auf einem Stein, sicher auch römischer Provenienz, sitzt und in seinem Baedeker liest, ist die unvergessliche Szene menschenlos und bis auf das leise Pumpen auch tonlos, dafür aber sehr fotogen. Schlauchwechsel in der Antike! Ich genieße die gewonnene Freizeit und wandere um die beiden Monumente, bewundere die Details, die Reliefs auf dem Triumphbogen, Motive mit Weintrauben, Möhren, so frisch und gegenwärtig. Unvergesslich wäre auch ein Picknick in diesem Ambiente, aber die Baguette liegt erst in der Boulangerie in St. Rémy im Regal, also nichts wie hin. Wo wird uns der nächste Platten wohl erwischen?

Traumlandschaften produzieren Traum-Locations, eine Woche später fast auf dem Gipfel des 542 m hohen Mt. Faron, der die seit dem Mittelalter strategisch bedeutsame Touloner Bucht und umliegende Inseln überwacht, passiert es wieder. Der Ausblick auf das azurblaue Meer im glitzernden Sonnenschein ist allerdings beim Reparieren an diesem frühlingshaften Januardienstag phänomenal. Und der Grund für diese Panne? In den Reifen hatte sich ein winzig kleiner Ohrstecker reingebissen, Vive la France und ihre Modewelt!

Andrea Maier-Pazoutova