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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Das Fahren macht dann wirklich Spaß

Probefahrten mit dem Bäckerfahrrad


Oliver Schmidtke "> Erste Fahrversuche des Autors unter den Augen von Benjamin Worch vom Schallplattenladen "analogetontraeger"
Oliver Schmidtke

So lange ist es eigentlich gar nicht her, dass ein Bäckerfahrrad ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand war. In meiner Kindheit wurden damit nicht nur Lebensmittel ausgeliefert, sondern diese Fahrräder wurden auch von Handwerkern für Werkzeug und Material benutzt, sofern nicht der nächst größere Typ verwendet wurde, das dreirädrige Lastenfahrrad mit einem Kastenaufbau vorne. Schon damals interessierte mich die Technik des Bäckerrades, die ungleich großen Räder, der vorne starr angebrachte breite Gepäckträger und der Klappständer als großer Bügel darunter.

Am meisten aber war ich immer von den Bremsen fasziniert. Hinten gab es eine Rücktrittbremse, das war bei allen Fahrrädern Standard. Vorne wurden die normalen Straßenräder durch ein Bremsgummi verzögert, das direkt von oben auf den Reifen gedrückt wurde. Dazu diente eine senkrechte Stange, die genau da saß, wo bei dem Bäckerfahrrad der Warenkorb montiert war. Deshalb wurde hier die Stange in das Lenkrohr verlegt, durch die lange Schraube hindurch, die unten in den Konus geschraubt ist. Ein kühner Bogen im Bremsgestänge lenkte die Kraft erst nach oben, dann senkrecht nach unten (Bild rechts oben). Der Bremsklotz mit dem Bremsgummi saß dann direkt zwischen den ­Gabelrohren. Dieser Mechanismus hat mich immer begeistert. Ich musste ihn ja nicht bedienen und machte mir auch keine Gedanken über den Wirkungsgrad, der schon bei meinem normalen Fahrrad bescheiden genug war. Es gab ja nichts Besseres, jedenfalls nicht in Bremen, wo ich aufgewachsen bin. Dass es doch Alternativen gab, ­erfuhr ich erst 1960 in Norwegen, wo praktisch alle Fahrräder vorne eine Trommelbremse hatten.

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links: Gestängebremse: Die Hebelkraft wirkt senkrecht durch das Lenkrohr auf den Bremsgummi
rechts: Mehr Sicherheit durch eine Trommelbremse: Die Perspektive des Radfahrenden
Ingolf Biehusen

Eine solche Trommelbremse steckt auch in dem Bäckerfahrrad, das ich gleich um die Ecke hier in Frankfurt immer wieder vor einem Schallplattenladen bewundern konnte. Viel bewegt wurde es offenbar nicht, aber eines Tages hatte es nagelneue Reifen, also wurde es jedenfalls gepflegt. Ich wäre gerne damit gefahren. Ob ich mal fragen sollte?

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links: Parken ist nicht ganz so einfach
rechts: Aus dem Sperrmüll: passgenaue Kiste für das Rad
Ingolf Biehusen

Als ich mich einmal wieder vor dem Laden über die Kisten mit Schallplatten-Sonderangeboten beugte und mein Fahrrad mit zwei großen ADFC-Taschen in Reichweite hatte, sprach mich prompt der Inhaber an. Ich sähe doch aus wie ein passionierter Radfahrer, und ob ich da nicht Lust hätte, gelegentlich mit seinem Bäckerfahrrad zu fahren, damit es auch mal benutzt und im Stadtviertel sichtbar wird. Mit dieser Art von Sonder­angebot hatte ich wirklich nicht gerechnet, aber ich sagte natürlich sofort zu. Zu transportieren habe ich immer etwas.

Das Fahrgefühl ähnelt dem mit einem bepackten Reiserad mit vier Radtaschen

Es dauerte ein wenig, bis es zur ersten Fahrt kam, da ausgerechnet die Trommelbremse repariert werden musste. Als es endlich so weit war, näherte ich mich dem Fahrzeug so, wie es mir mein Motorradlehrer geraten hatte. Ich schob erst einmal nur, um ein Gefühl für das Gewicht und die Gleichgewichtslage zu bekommen. Beides ist beherrschbar. Das Fahrgefühl ähnelt dem mit einem bepackten Reiserad mit vier Radtaschen. Allerdings habe ich dort meine 21&xnbsp;Gänge, die ich bei dem Bäckerfahrrad sehr vermisse. Es hat keinerlei Gangschaltung und vorne 46 Zähne, hinten 20. Diese Kombination haben andere Fahrräder aus der Zeit auch, die nicht für den Transport von Lasten vorgesehen sind. Bei einem anderen Bäckerfahrrad habe ich dagegen hinten 22 Zähne gezählt. Diese Übersetzung erfordert nicht ganz so viel Kraft am Berg. Auch das Anfahren geht mit einem größeren Ritzel flotter. Der Antriebsstrang übrigens ist nicht kräftiger ausgelegt als bei einem normalen Straßenfahrrad. Auch der Rahmen ist nicht stärker dimensioniert, wenn man von dem doppelten Oberrohr und von dem Lenkrohr absieht, das wegen des kleinen 20-Zoll-Vorderrades entsprechend länger ausfällt.

Nicht beim Fahren, aber beim Rangieren kommt dann tatsächlich etwas Motorradgefühl auf. Jede Bewegung muss wohlüberlegt sein. Schiebt man das geparkte Fahrzeug nach vorne, bis der Ständer hochklappt, muss man das Gleichgewicht auch wirklich halten. Drückt man den Ständer mit dem Fuß auf die Erde und hebt das Fahrrad nach hinten in seine Parkposition, dann gibt es einen Punkt, von dem an sich die Bewegung nicht mehr aufhalten lässt, bis alles zum Stillstand kommt. Das merkte ich zum Glück rechtzeitig, als ich die Fuhre dicht an einem Laternenpfahl abstellen wollte. Ein paar Zentimeter weniger und der Lastenaufbau wäre gegen die Laterne geknallt.

Überhaupt will das Parken etwas trainiert sein. An einen Mast oder Pfahl muss man dicht heran fahren, um nicht zu viel Platz wegzunehmen. Dazu lässt sich dieses Fahrzeug auch in beladenem Zustand zwar immer noch leicht nach vorne oder hinten schieben, aber eben nicht seitlich. Besonders trickreich wird es, wenn es zwischen lauter Abstellbügeln gerade noch für ein einziges Fahrrad reicht. Da muss dann nicht nur das Bäckerrad Platz haben, sondern auch der Mensch dazu. Mit einem Fuß drückt man den Klappständer nach unten, eine Hand hält den Lenker, die andere hebt das Fahrrad samt Ladung an und zieht es nach hinten. Der zweite Fuß ist dabei auch nicht unwichtig. Er trägt mindestens einen Teil der Last und das Gleichgewicht hält er auch noch.

Aber das Fahren macht dann wirklich Spaß. Die breiten Reifen schlucken viele Stöße, die aufrechte Sitzhaltung bietet gute Rundumsicht. Bei jeder Lenkbewegung merkt man, wie gut es ist, dass die Ladung am Rahmen und nicht an der Vordergabel befestigt ist. Natürlich ist das Fahrverhalten anders als gewohnt. Der Schwerpunkt ist trotz des kleinen Vorderrades deutlich erhöht. Man darf sich nicht schwungvoll in die Kurve legen, sonst kippt man leicht nach innen.

Diese Art Fahrrad ist zum Transportieren da und nicht zum Spazierenfahren. Für meine erste Tour hatte ich eine große Reisetasche voller Bücher gepackt, die ich in verschiedene öffentliche Bücherschränke stellen wollte. Das ging dann viel müheloser als mit den Radtaschen, die ich sonst verwende. Nicht nur beim Fahren, sondern auch im Stehen hatte ich übersichtlich alles vor mir. Kein Buch verknickte und die unvermeidlichen Neuzugänge ließen sich leicht von den Beständen trennen, die ich abgeben wollte.

Die Holzkiste aus dem Sperrmüll passt ganz genau auf das Rad

Noch besser als die Tasche wäre eine Holzkiste und die entdeckte ich dann tatsächlich am Straßenrand inmitten von Sperrmüll. "Keller" steht darauf. Das Teil passt millimetergenau. Ich musste nur die metallverstärkten Ecken etwas abpolstern, damit der Warenkorb meines Fahrrads nicht verkratzt wurde. Die Tasche passte dann in die Kiste und weiter ging die Fahrt.

Wie verhalten sich die anderen Verkehrsteilnehmer? Ein Lasten-Kollege wollte mir mit seinem Truck einfach die Vorfahrt nehmen, weil ich nicht so flott an ihm vorbei brausen konnte wie gewohnt. Ich schrie ihn laut an, so dass er verschreckt doch noch auf die Bremse trat. Andere nehmen aber durchaus Rücksicht auf meine etwas schwerfälligere Gangart. In Einbahnstraßen, die für Radfahrer in beiden Richtungen geöffnet sind, bin dann aber ich oft derjenige, der freiwillig nachgibt. Ich mag das Gerangele um Zentimeter nicht, obwohl ich ja die breiteste Stelle meines Fahrzeugs direkt vor mir im Blick habe. Auch ist der Gepäckträger kaum breiter als der Lenker. Übrigens, auf Lenkbewegungen reagiert das Bäckerfahrrad alles andere als schwerfällig. Man kommt gut zwischen Pollern hindurch, wenn man genau zielt. Es stört überhaupt nicht, dass man das Vorderrad nicht sehen kann. Will man gezielt einem Schlagloch ausweichen, genügt es zu wissen, dass das Vorderrad immer in der Mitte ist.

So altertümlich dieses Bäckerfahrrad auch wirkt, richtig alt ist es gar nicht Auf dem Rahmen steht "60 Jahre Falter". Die Fahrradfabrik Falter wurde 1927 gegründet, demnach wäre das Fahrrad frühestens 1987 gebaut. Dabei sieht die Rahmenkonstruktion aus wie in den 1950iger Jahren. Das Rahmenheck ist oben geschraubt, die Hinterachse steckt in waagerechten Gabelenden mit Kettenspannern, Ösen für Schutzbleche und Gepäckträger gibt es nicht, alles muss zusammen mit der Hinterachse befestigt werden. Diese Konstruktion findet man an normalen Straßenrädern eigentlich seit etwa 1955 nicht mehr. Andererseits sind die Rahmenrohre direkt miteinander verschweißt und nicht durch gelötete Muffen miteinander verbunden, wie es im traditionellen Rahmenbau üblich ist. Zum Anbringen eines hinteren Gepäckträgers ist eine Pletscherplatte angeschweißt, auch das ist eine neuere Erfindung, ebenso wie die Platte zur Befestigung eines Mittelständers.

Für ein sperriges Fahrrad findet sich nur schwer ein geschützter Abstellplatz

An einem anderen Punkt hätte ich mir etwas mehr Modernität gewünscht, und zwar bei der Korrosionsvorsorge. Sorgen bereitet mir nämlich der Rost. Fahrräder sollten nicht Tag und Nacht draußen stehen. Je sperriger aber ein Fahrrad ist, desto schwerer findet sich ein geschützter Abstellplatz dafür. Und wenn die Fläche zwischen den beiden Oberrohren mit einer Firmenadresse verziert ist, dann soll sie auch jedermann sehen können. Damit ist das Schicksal eines Bäckerfahrrads eigentlich vorgezeichnet, es steht viel draußen herum. Aber ausgerechnet der Lastenvorbau samt Ständer ist sehr rostanfällig. Die zahlreichen Schweißnähte sind nicht glattgeschliffen, also voller Kanten und Vertiefungen. An den ebenso häufigen Schraubverbindungen rostet es auch. Die Lackierung könnte deutlich robuster sein. Das kann man korrigieren. Eine moderne Pulverbeschichtung hält den Rost jedenfalls auf der Fläche zuverlässig fern. Sie wäre aber nur auf Kosten des Originallacks möglich. Ein Überzug mit Leinöl verhindert ein Weiterrosten und konserviert die Patina. Besser aber soll Schellack sein, der vielleicht auch ganz gut zu den Schallplatten passt. Ohne weitere ­Erfahrungen und Beratungen wage ich mich aber an dieses Projekt nicht heran.

Auch noch nicht abgeschlossen ist der Versuch, das Bäckerfahrrad StVZO-konform auszustatten. Es hat einen tollen Scheinwerfer und ein sehr stilvolles, aber kaum sichtbares Rücklicht. Der erforderliche Reflektor vorne lässt sich am Korb anbringen, hinten wird es schon schwieriger. Und Speichen­reflektoren, die nicht nur funktionieren, sondern auch passabel aussehen, fehlen auch noch. Eigentlich wäre es schade, dieses Fahrrad mit moderner Sicherheitstechnik zu verunzieren. Das passt alles nicht zu der Zeit­reise, auf die man sich unweigerlich begibt, wenn man das Bäckerfahrrad auch nur an die Hand nimmt.

Ingolf Biehusen