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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Beste Laune bei den Initiatoren des Radentscheids, hier am Fahrradzähler im ­Offenbacher Hafen
Fotos: Radentscheid Offenbach

Für eine fahrradfreundliche Stadt Offenbach am Main

Radentscheid und Stadt vereinbaren Zusammenarbeit

„Wir wollen als Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern das Radfahren in Offenbach komfortabler und sicherer machen“, teilt Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Sabine Groß mit: „Die Stadt und der Radentscheid teilen dieselben Interessen, um angesichts des Klimawandels und der vielen Staus den Umstieg aufs Fahrrad zu erleichtern. Deshalb haben wir vereinbart, auf Grundlage der vereinbarten Ziele weiterhin eng zusammenzuarbeiten, um alle Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Zielgruppe auszurichten. Der öffentliche Raum ist begrenzt und wir müssen schauen, dass wir eine Gleichberechtigung zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern erreichen.“

Der Radentscheid Offenbach und die Stadt Offenbach wollen gemeinsam die Infrastruktur für den Radverkehr in Offenbach deutlich verbessern. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, zahlreiche kleinere und größere Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre umsetzen zu wollen. Zudem soll ein Umsetzungsbeirat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Verwaltung, Radentscheid, ADFC, VCD, Handwerkskammer, IHK und ADAC eingerichtet werden. In einem Grundsatzbeschluss hat der Magistrat der Vereinbarung und dem Umsetzungsbeirat am 3. August zugestimmt. In dieser Vereinbarung verpflichtet sich die Stadt, jährlich rund 600.000 Euro eigene Mittel für Planung und Umsetzung in Form von Markierung, Beschilderung und gegebenenfalls Baumaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Der ESO (Eigenbetrieb Stadt Offenbach) erhält weiterhin ein jährliches Budget für die Instandhaltung der Radinfrastruktur, Winterdienst und Reinigung. Eine zusätzliche Personalstelle im Amt für Mobilität soll darüber hinaus die konkreten Maßnahmen und Aufgaben schrittweise umsetzen – vorbehaltlich der Möglichkeit, diese zu finanzieren. Dabei geht es auch um viele kleinere und kostengünstige Verbesserungen, die beispielsweise stark befahrene Knotenpunkte für die Radfahrenden sicherer machen.

Konstruktive Gespräche
Vorausgegangen waren in den zurückliegenden Monaten acht Verhandlungsrunden mit einem achtköpfigen Team des Radentscheids und einem prominent besetzten Team der Stadt Offenbach. Neben Bürgermeisterin Sabine Groß, Stadtkämmerer Martin Wilhelm, Planungsdezernent Paul-Gerhard Weiß waren alle für den Radverkehr relevanten Akteure eingebunden und haben auf Augenhöhe konstruktive und an der Sache orientierte Gespräche geführt. Herausgekommen ist ein Grundsatzbeschluss zum Radverkehr und 65 Maßnahmen für eine Verbesserung der Infrastruktur wurden identifiziert und priorisiert.

Wollen Offenbach fahrradfreundlich machen: Bürgermeisterin Sabine Groß und Radentscheid-Sprecher Jochen Teichmann

Ausbau der Radinfrastruktur Verabredet wurden drei Sofortmaßnahmen:
• Auf der Waldstraße soll eine eigene Radfahrspur in jede Richtung entstehen. Die Planungen für eine grundlegende Neuaufteilung des Straßenraums sollen noch in diesem Jahr beginnen. Als Sofortmaßnahme ist ein Verkehrsversuch mit der Markierung einer reservierten Spur für Fahrräder vorgesehen.
• Ebenfalls eine eigene Radspur oder zumindest Schutzstreifen sollen auf der Frankfurter Straße zwischen Kaiserstraße und August-Bebel-Ring entstehen. Um die gefährliche Situation für Radfahrende auf den Straßenbahnschienen zu entschärfen, soll das Längsparken an diesen Stellen als Sofortmaßnahme verboten werden. Langfristig ist eine umfassende Sanierung der Frank­furter Straße vorgesehen, gegebenenfalls mit oder ohne Straßenbahnverlängerung von der Stadtgrenze.
• Zahlreiche Anpassungen an den bestehenden Fahrradstraßen sollen den teils hohen Durchgangsverkehr verringern. Unter anderem ist die Optimierung mit Modalfiltern vorgesehen.

Weitere Maßnahmen
Die Vereinbarung enthält zahlreiche Maßnahmen, die das Radfahren ­sicherer und komfortabler machen sollen. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen, die jedoch alle noch einer vertieften fachlichen Prüfung unterzogen werden müssen.
• Auf der Unteren Grenzstraße soll zwischen Ostbahnhof und Clariant-Gelände ein beidseitig baulich getrennter Radweg entstehen.
• Ein Radschnellweg ist auf der Mühlheimer Straße zwischen Ulmenstraße und Untere Grenzstraße vorgesehen, kurzfristig sollen die Markierungen für „Schutzstreifen“ aufgefrischt werden.
• Auf der Bieberer Straße soll die Einbahnstraße zwischen Marktplatz und Wilhelmsplatz für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet werden. Weiterhin sind kleinere Maßnahmen für eine ­erhöhte Sicherheit vor Ein- und Aus­fahrten vorgesehen. Auch eine Radfahrspur stadteinwärts enthält der Katalog.
• Weitere Radfahrstreifen, Rad­fahr­­spuren oder Radwege sollen auf der Aschaffenburger Straße, der Seligenstädter Straße, der Sprendlinger Landstraße, dem Landgrafenring, dem Friedrichsring, der Erich-Ollenhauer-­Straße, der Schloßgartenstraße, dem Lämmerspieler Weg (Laska­­brücke bis An den Eichen) und der Eberhard-v.-Rochow-Straße so­wie dem Bischofsheimer Weg entstehen.
• Außerdem zielen viele Maßnahmen darauf ab, durch ein Mehr an Sicherheit die Nutzung durch Radfahrende zu erhöhen. Dafür sollen beispielsweise Kreuzungs­bereiche umgestaltet, Parkplätze reduziert, Ampelschaltungen angepasst und Querungshilfen geschaffen werden.

Der lange Weg zu einer fahrradfreundlichen Stadt Offenbach
Schon 2007 wurden in einem ambitionierten städtischen Radverkehrskonzept zahleiche Maßnahmen gemeinsam mit ADFC und VCD identifiziert und festgeschrieben. Leider wurde der Großteil dieser dringend notwendigen Verbesserungen 10 Jahre lang nicht durch­geführt. Die städtischen Argumente fürs Nichthandeln waren, wie überall, immer die gleichen. Kein Geld und alle anderen städtischen Bauprojekte, wie zum Beispiel der Kaiserlei-Straßenausbau, waren wichtiger. Dies wurde auch vom ADFC immer wieder politisch angemahnt. Ab Mitte 2018 wurde dann endlich damit begonnen, im städtischen Projekt „Bike Offenbach“ neun Kilometer Fahrradstraßen und sechs Radachsen einzurichten. Die Grundforderungen nach einem durchgängigen, leistungs­fähigen Radwegenetz, sicheren Radwegen auf Haupt- und Nebenstraßen, sicheren Kreuzungen und Querungen und deutlich mehr Rad­abstellplätzen in Offenbach blieben aber weiter bestehen.

Das Bürgerbegehren Radentscheid Offenbach
Im Februar 2020 haben sich dann interessierte Offenbacher:in­nen zusammengefunden um „der Politik“ auf die Sprünge zu helfen: „Wir werden zeigen, dass viele Einwoh­ner:innen in Offenbach längst eine andere Stadt wünschen, für sich, für ihre Kinder, für die Älteren, für Mobilitätseingeschränkte …“

Schon drei Monate nach Gründung des Rad­entscheids wurde in einer ersten Aktion gezeigt, was möglich ist. Angelehnt an das Konzept der „Pop-up Bike Lanes“ wurde an einem Aktionstag auf der Offenbacher Waldstraße eine sichere Radspur eingerichtet, um zu demonstrieren, wie sicher das Radfahren in Offenbach sein könnte. Im Sommer 2020 wurde dann das Bürgerbegehren mit den sechs Forderungen zur Förderung des Radverkehrs formuliert und am 18.09.2020 begann die Sammlung der 2860 notwendigen Unterschriften. Die Aktiven des Radentscheids blieben, trotz Pandemie und Coronabeschränkungen immer engagiert und als es wieder ging, wurden weitere Aktionen durchgeführt. Die Fahrraddemonstration „Rund um Offenbach“ und die zwei Mal jährlich stattfindende Kidical Mass zeigten der Politik, wie viele Menschen sich sichere, durchgängige, leistungsfähige Radwege wünschten. Am 7. Oktober 2021 konnten dann 5854 Unterschriften an den Magistrat übergeben werden, fast das Doppelte der erforderlichen Unterschriften. Nach Prüfung der Unterschriften und Zulässigkeit des Bürgerbegehrens kam der Magistrat der Stadt zum Ergebnis, dass das Bürgerbegehrten nicht gültig sei, gleichwohl suche man aber das Gespräch mit dem Radentscheid.

Verhandlungsteam des Radentscheids, v.l.: ­Jochen Teichmann, Lisa Wagner, Susanne Haas, Ines Nößler, Kai Kotzian, Jochen Terpitz. Nicht im Bild sind Wakako Obata und Vincent Paul Kolipos
Abstimmung des Radentscheids über Vereinbarung mit der Stadt Offenbach

 

Immer mehr Menschen auf dem ­Fahrrad unterwegs
Dass die Stadt Offenbach den Interessen der Radfahrerinnen und Radfahrer mehr Bedeutung beimisst, ist auch das Ergebnis einer zunehmenden Nutzung des Fahrrades. Die Fahrradzählstation am Mainufer beispielsweise verzeichnet seit 2019 eine deutliche Zunahme des Radverkehrs. 2019 waren es insgesamt 509.345 Radfahrende und damit im Schnitt 1.395 pro Tag. 2020 stieg die Zahl der Radfahrenden auf 690.205 (1.890 pro Tag), allein in diesem Jahr wurden bis Mitte Juli schon mehr als 437.000 Radfahrende gezählt (rund 2.230 pro Tag). Auch die Studie „Mobilität in Deutschland“ zeigt, dass der Radverkehrsanteil allmählich zunimmt: von 9 Prozent im Jahr 2008 auf 11 Prozent im Jahr 2017. „Das ist uns insgesamt noch zu wenig. Wir möchten und müssen diesen Anteil weiter erhöhen, um die Stadt vor einem Verkehrsinfarkt zu bewahren und die schädlichen Auswirkungen des Autoverkehrs auf die Gesundheit und das Klima zu reduzieren. Die Aussicht, das zu schaffen, ist in Offenbach aufgrund des kompakten Stadtgebiets und der geringen ­Höhenunterschiede sehr günstig“, so Bürgermeisterin und Mobilitätsdezernentin Groß. „Dafür braucht es dann aber auch die passende Infrastruktur, um sicher und schnell ans Ziel zu kommen.“

Ein wichtiger Schritt in ­Richtung ­Verkehrswende
Für Jochen Teichmann, Sprecher des Radentscheids, ist die Vereinbarung mit der Stadt ein wichtiger Schritt in Richtung Verkehrswende: „Nicht alle unsere Forderungen konnten erfüllt werden. Wir haben uns jetzt auf sehr sinnvolle Maßnahmen für die nächsten fünf Jahre geeinigt, die es ermöglichen, ein durchgängiges leistungsfähiges Radnetz aufzubauen. Damit ermöglichen und erleichtern wir die Mobilität für alle Radfahrenden, darunter insbesondere auch für Kinder und Senioren. Menschen mit eingeschränkter Mobilität und speziell angefertigten Rädern sowie Elektrorollstühlen können diese Radwege auch sicherer nutzen.“ Neben dem inklusiven Ansatz erachtet Teichmann auch den Umsetzungsbeirat als großen Gewinn: „Hier wird Bürgerbeteiligung verankert für die vielen Menschen, die sich für den Ausbau der Radinfrastruktur interessieren“, betont Teichmann und verweist auf die rund 5900 Unterschriften für den Radentscheid. „Wir wünschen uns, dass die Sofortmaßnahmen in der Vereinbarung zeitnah in die Umsetzung gehen und wir nach fünf Jahren insgesamt auf sehr positive Veränderungen zurückblicken können.“

Lisa Wagner, langjährige Rad­verkehrsplanerin und fest eingebunden im achtköpfigen Verhandlungsteam des Radentscheids, schaut auf die intensive, ehrenamtliche Arbeit der vergangenen vier Monate zurück: „Gemeinsam mit dem Verhandlungsteam der Stadt Offenbach haben wir ein gutes Ergebnis für eine fahrradfreundliche Stadt Offenbach erstellen können. Ich bin überzeugt, dass auch mit geringen finanziellen Möglichkeiten und dem Drehen der richtigen Stellschrauben viel realisiert werden kann.“

Jochen Teichman