Skip to content

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main   

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe

Abschlussfeier in Regensburg

Viktor von Hugo beherrscht das Chaos und löst in der

ehemaligen

Apotheke Probleme


Bild zum Artikel




Hier wird geholfen: Fahrradwerkstatt in Regensburg, direkt hinter dem Dom



Peter Sauer


In Regensburg macht uns eine Hinterrad-Bremse Sorgen. Da es sich um eine Hydraulikbremse handelt, wollen wir gerne einen fachlichen Rat. Ein Laden in der Innenstadt, todschick, verkauft E-Bikes. Die Räder stehen einzeln auf Podesten, weit im Raum verteilt, das Ambiente erinnert mehr an ein edles Autohaus als an ein Fahrradgeschäft. Da einige der teuren Schaustücke ebenfalls mit einer Hydraulikbremse ausgerüstet sind, traue ich mich in das Geschäft hinein, auf fachlichen Rat hoffend. Die junge Dame, die mir entgegen kommt, muss meine Hoffnung enttäuschen. Sie kenne sich mit der Fahrradtechnik nicht aus, ein Techniker sei heute nicht mehr im Haus, und auch morgen nicht. Aber, hilft sie uns weiter, in der Mohrenapotheke am Alten Kornmarkt betreibe der Viktor eine Werkstatt, der könne bestimmt helfen, und man solle schön grüßen von ihr.

Zurück im Hotel, hilft uns das Internet zur Mohrenapotheke. Telefonisch rät Viktor, gleich am nächsten Morgen um Zehn zu kommen. Wir tun das und finden den Laden nur wenige Meter hinter dem Dom. Viktor schraubt an einem Rad und unterhält sich dabei mit dessen Besitzer. Um die beiden herum stehen dutzende Fahrräder, dicht an dicht, alle gebraucht und offensichtlich zur Reparatur bei Viktor. Das macht uns nicht unbedingt Mut, und als Viktor uns bittet, in zwanzig Minuten wieder zu kommen, er habe hier noch zu tun, verbessert das die Lage kaum. Zwanzig Minuten später dann, zurück im Laden, muss Viktor jemandem am Telefon erklären, dass er heute mit dem Sohn eine Schulabschlussfeier vorbereiten müsse, und dass der Laden deshalb um 17 Uhr schließe, da er sich um den Sohn kümmern müsse. Auf seiner Webseite hatte Viktor schon auf eingeschränkte Öffnungszeiten hingewiesen, wegen Corona und Homeschooling. Das Telefonat ist irgendwann beendet, Viktor muss uns nur noch kurz erklären, dass es mit der Oberpfälzer Verwandtschaft, mit der er gerade gesprochen habe, nicht immer einfach sei – er stamme ja selbst von da, sei aber froh, dass er weg sei aus dem Wald – und schon kommen wir zur Hydraulikbremse. Ja, er wolle sich das anschauen, brauche vielleicht ein Ersatzteil, habe eventuell eines im Lager (das Chaos im Laden macht uns wenig Hoffnung darauf), werde sich telefonisch melden und wir sollten ihm unsere Mobilnummer aufschreiben. Den Zettel mit der Nummer klemmt Viktor an den Bremshebel, und wir verschwinden etwas erleichtert, aber weiterhin skeptisch. Von einem Café aus können wir Viktor beim entspannten Plaudern mit Kunden zusehen. Das nervlich durchzuhalten überfordert uns bald, so dass wir das Weite suchen und Tourismus im Weltkulturerbe Regensburg betreiben.







Viktor von Hugo beherrscht das Chaos und arbeitet verlässlich



Peter Sauer


Am Nachmittag sitzen wir im Biergarten auf der Donauinsel unter einen Sonnenschirm, der uns heute als Regenschirm dient. Leberkäs' mit Kartoffelsalat und ein Radler, und prompt kommt eine SMS aus der Mohrenapotheke: Lieber Kunde, ihr Rad ist fertig, sie können es abholen. Mir fällt vor Erstaunen fast das Telefon in den Kartoffelsalat. Schnell essen wir unsere Teller leer, zahlen und machen uns anschließend skeptisch auf den Weg zum Alten Kornmarkt.

Dort ist die Lage unverändert, Viktor schraubt und telefoniert, ein Helfer montiert einen Reifen, aber das Chaos der vielen Räder hat sich kaum verändert. Doch überraschenderweise steht unser Fahrrad an anderer Stelle im Nieselregen, und das macht uns Hoffnung. Alles in Ordnung, meldet Viktor, die Bremse funktioniere wieder, Ersatzteile habe er nicht benötigt, er wolle nur noch schnell eine Probefahrt machen, nachdem die Kundin dies getan habe. Die Kundin setzt sich auf ihr Rad, dreht eine Runde um den Häuserblock und kommt hochzufrieden wieder zurück. Viktor will aber sicherheitshalber noch selber prüfen und schwingt sich auf das Velo – und ist weg. Einfach weg, irgendwo in der Fußgängerzone verschwunden. Nach einigen Minuten wundern wir uns, nach weiteren Minuten wundern sich auch andere Kunden, denen Viktor Hilfe zugesagt hat. Wo bleibt der Kerl nur, ist ihm noch etwas eingefallen, muss er noch etwas erledigen? Antworten gibt es nicht, aber irgendwann taucht Viktor von Hugo, Zweiradmechaniker zu Regensburg, wieder auf. Geht alles prima, meldet er und verlangt 32 Euro. Mir stehen Tränen des Glücks in den Augen, die Ferien sind gerettet, kein Gasthof muss storniert werden, das (Urlaubs-) Leben geht weiter. Wir bedanken uns, spenden großzügig Trinkgeld und vergessen nicht, die Grüße der jungen Dame in dem E-Bike-Laden auszurichten. Ja, mit denen arbeite er oft zusammen, erfahren wir, er helfe ihnen immer wieder bei Reparaturen. Erstaunlich, denke ich, ist doch kaum ein größerer Gegensatz denkbar als der zwischen dem schicken Laden in der Fußgängerzone und dem Chaos in der ehemaligen Mohrenapotheke. "Wir wollen ja, dass die Touristen sich hier wohlfühlen und uns in guter Erinnerung behalten", sagt Viktor noch. Aber da ist er fast schon beim nächsten Fall. Er muss ja weitermachen, heute besonders, geht ja nur bis 17 Uhr, wegen der Vorbereitung der Abschlussfeier des Sohns.

Peter Sauer