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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Bertram Giebeler, der Verkehrspolitische Sprecher für den ADFC Frankfurt, tritt Ende März den Ruhestand an. Danach übernimmt Ansgar Hegerfeld, bisher Mitglied des Kreisvorstands, diese Aufgabe. Mit beiden hat sich Frankfurt aktuell über Zurückliegendes und Zukünftiges unterhalten.
Torsten Willner

Viele Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen

Frankfurt aktuell: Wir reden oft sehr selbstverständlich vom Amt des Verkehrspolitischen Sprechers, so als sei allen klar, was ­darunter genau zu verstehen ist. Heute aber mal ganz konkret gefragt: Wie lässt sich diese Aufgabe im Einzelnen beschreiben, Bertram?

Bertram Giebeler: Als Verkehrspolitischer Sprecher äußere ich mich gegenüber Medien, ­Ansprechpartnern in Verwaltung und Politik, aber auch gegenüber Bündnispartnern, innerhalb des ADFC Frankfurt zum Beispiel der Verkehrs-AG, und natürlich auch Gremien auf Landes- und Bundesebene. Man hat routinemäßige Meetings mit der Stadt oder begegnet der akademischen Community, das alles zählt zum Aufgabenfeld. Ich vertrete die Position des ADFC Frankfurt in diesem umfangreichen Umfeld – sei es schriftlich, telefonisch oder in einer ­Videokonferenz. Mit dieser ganzen Klaviatur ist man da unterwegs.

Und welchen Gestaltungsspielraum hat ein Verkehrspolitischer Sprecher?

Bertram: Im Rahmen unserer beschlossenen ­Politik eine ganze Menge. Es ist ja nicht so, dass zu allen Problemen in Frankfurt, die auftauchen und zu denen ich gefragt werde, schon fertige Lösungen in der Schublade liegen. Insofern gibt es da viele Möglichkeiten, eigene Ideen einzubringen. Zum Beginn meiner Tätigkeit war es zum Beispiel die große Frage: Gehen wir ab vom Routenkonzept in eine Netzkonzeption? Das war eine Sache, da habe ich selber auch entschieden: Ja, da mache ich mit! Das war ein logischer Schritt und hatte auch Konsequenzen dafür, wie wir dann in der nächsten Zeit vorgegangen sind. In vielen Detailsituationen nehme ich Stellung aufgrund dessen, was bei uns die verkehrspolitische Vorgabe ist. Manchmal kann man das etwas großzügiger interpretieren, da gibt es einen gewissen Freiraum, den wird auch Ansgar haben. Es sei denn, der Vorstand ist der ­Meinung, „das geht nun gar nicht“, denn der Kreisvorstand ist letztlich der Beschlussträger, dem man sich unterordnen muss. Aber solche Situationen waren in meiner Amtszeit selten.

Apropos Kreisvorstand: Mitglied dieses ­Gremiums war bis vor kurzem dein Nachfolger. Ansgar, mit der Brille des ehemaligen Vorstandsmitglieds: Wie siehst du die Rolle des Verkehrspolitischen Sprechers? Was leistet so ein Sprecher für den ADFC in Frankfurt?

Ansgar Hegerfeld: In erster Linie vertritt er den Verband nach außen, auch tagsüber. Es ist ja so, dass zum Beispiel der ehrenamtliche Vorstand viele Termine tagsüber nicht wahrnehmen kann. Da ist einfach der Vorteil, wenn man eine bezahlte Kraft hat, die dann auch zur Verfügung steht und die Position letztendlich auch vertritt. Auch dass die Politik einen Ansprechpartner hat, statt bei einem achtköpfigen Vorstand immer schauen zu müssen, an wen man sich wendet. Man ruft einfach den Verkehrspolitischen Sprecher an und fragt: Wie ist es denn? Der Hauptvorteil ist, dass es klare Zuständigkeiten gibt.

Und wie hast du die Zusammenarbeit mit Bertram erlebt?

Ansgar: Die war sehr konstruktiv und angenehm. Es hat immer sehr gut funktioniert.

Werfen wir einmal einen Blick zurück auf die letzten 11 Jahre, Bertram. Was würdest du als die Highlights dieser Zeit beschreiben?

Bertram: In der Anfangszeit war das sicher die Alte Brücke. Die wollte Verkehrsdezernent ­Stefan Majer mit Schutzstreifen fahrradfreundlicher machen. Das war das erste Mal in Frankfurt, dass man dem Autoverkehr ein bisschen Platz weggenommen hat. Hintergrund war, dass ­vermieden werden sollte, die Alte Brücke für 17 Millionen Euro umbauen zu müssen. Gleichzeitig gab es eine riesige Panikmache, dass sich die Autos bis nach Darmstadt stauen würden. Mit dem Argument, dass die Stadt so sehr viel Geld spart, konnte man das mit den Schutzstreifen ausprobieren. Das war der erste Kick in so eine Richtung. Als ADFC haben wir das ­vehement unterstützt. Da dachte ich: Hoppla! Da entscheidest Du bei einer Sache mit, die dann auch Konsequenzen hat.

Ein echter Kipppunkt für den Radverkehr in Frankfurt war das Jahr 2018 – mit der Entscheidung des damaligen Verkehrsdezernenten Klaus Oesterling nach dem tödlichen Unfall am ­Börneplatz, dem Radverkehr auf Kosten des Autoverkehrs einen geschützten Raum zu schaffen. Nachdem diese Auseinandersetzung ausgestanden war, ging es Schlag auf Schlag weiter. Parallel dazu gab der Radentscheid Oesterling den Rückenwind dazu.

Offen gesagt hatte ich mit dem Radentscheid anfänglich Probleme, auch aufgrund der Erfahrungen mit dem Berliner Volksentscheid und weil sehr separationslastig argumentiert wurde. Als alter kampferprobter Straßenradler konnte ich zuerst nicht so viel damit anfangen, aber man wird natürlich auch schlauer im Leben: Warum soll ich eigentlich etwas dagegen haben, wenn es in Frankfurt endlich mal vernünftige und breite Radwege gibt? Schließlich sind wir seither in einen guten Kooperationsmodus mit dem Radentscheid gekommen, der uns genug Eigenständigkeit lässt. 2018 war daher eines der wichtigsten Jahre. Seitdem arbeiten wir auf einem höheren Niveau weiter.

Und wir waren immer wieder Ideengeber: Zum Beispiel die Roteinfärbungen oder die Doppelstockparker, und im Grunde auch die wegweisende Beschilderung. So konnten wir vieles anstoßen, was die Verwaltung vorher abgelehnt hatte.

Eine Frage an euch beide: Welche Wandlung hat sich beim ADFC in den letzten fünf bis zehn Jahren ergeben – und was bedeutet das für die künftige Rolle des Verkehrspolitischen Sprechers?

Ansgar: Zum einen treten wir anders, deutlich fordernder auf in der Öffentlichkeit. Und wir versuchen auch, mehr Menschen mitzunehmen, also die breitere Masse stärker anzusprechen und Gruppen, die wir bisher nicht so im Fokus hatten, also Kinder oder Ältere. Ich denke, es ist generell in Deutschland so, dass sich das ganze Klima etwas verändert. Das wirkt sich natürlich auch auf den ADFC mit aus, das müssen wir auch zukünftig noch weiter mit begleiten.

Haben sich auch Inhalte und Botschaften ­geändert?

Ansgar: Das ganze Thema Separation und ­Radwege hat sich deutlich gewandelt. Früher forderte der ADFC Schutzstreifen – heute hat sich das sehr krass gedreht, so dass es nicht mehr feierwürdig ist, wenn eine Stadt so etwas einweiht. Nicht nur in Frankfurt, sondern generell, das ist sicher eine der einschneidendsten Veränderungen. Und dass wir klipp und klar sagen: Wir brauchen den Platz! Wir wollen nicht mehr diese Randerscheinung im wahrsten Sinne des Wortes sein, sondern wir wollen wirklich den Platz, und der muss auch irgendwo herkommen – im Zweifelsfall von der Fahrbahn. Das hat man sich früher nicht getraut, diesen Platz so einzufordern.

Bertram: In den Nuller- und Zehnerjahren gab es anfänglich eine Position, die nannte sich Radwege töten. Radwege haben ja wegen der Rechtsabbiegerproblematik ein Gefahrenpotenzial, trotzdem war das natürlich eine radikale Position, die auch damals schon kontrovers war. ­Inzwischen hat sich die Sicht darauf sehr gewandelt, weil wir auch einfach zur Kenntnis nehmen mussten, dass ein Großteil der potenziellen Radfahr-Klientel schlichtweg einen Schutzraum haben will. Mit der ursprünglichen Haltung „Ich erkämpfe mir meinen Platz auf der Fahrbahn“, mit der ich auch groß geworden bin, kommt man über ein bestimmtes Klientel eben nicht hinaus. Seit etwa 2015 hat sich der Blickwinkel hierauf sehr stark gewandelt.

In der Arbeit des Frankfurter ADFC war ein ­Wendepunkt 2016, als in die Verkehrs-AG neue, jüngere Leute kamen, die an viele Dinge neu ­herangegangen sind. Eine erste Aktion war der Protest gegen die Entwässerungsrinnen im Grüneburgpark, die den Radverkehr extrem auszubremsen drohten. Die Verkehrs-AG wurde jünger und aktivistischer – das war für mich damals neu und sehr erfrischend, dass wir eigenständig als ADFC mit solchen Aktionen sichtbar geworden sind.

An solchen Aktionen in Frankfurt war ja auch der neue verkehrspolitische Sprecher oft beteiligt. Welche Erfahrungen als Fahrradaktivist nimmst du in das neue Amt mit?

Ansgar: Wir haben bei den ganzen Aktionen, die wir schon durchgeführt haben, viel gelernt. Dass wir uns zum Beispiel Autos ausleihen, um für einen Radweg in der Eschersheimer Landstraße zu demonstrieren, hätte man früher sicher nicht auf dem Schirm gehabt. Ich finde es interessant, solche Ideen im Hinterkopf zu haben, dass man vielleicht auch einmal um die Ecke denken muss, um seine Forderungen zu platzieren. Und es ist natürlich auch ein Werbemittel. Wir haben gelernt, dass man durch Aktionen gut in die Presse kommen kann, vielleicht einfacher als mit einer Pressemitteilung, wo wir nur sagen, wir wollen dies oder jenes. Ich glaube, das werde ich künftig auch unterstützen, um so mit unseren Forderungen sichtbar zu werden. Dabei hilft es auch, ein breites Netzwerk zu haben mit vielen Aktiven, die vielleicht nicht alle im ADFC sind, sondern über angeschlossene Gruppen mit uns zusammenarbeiten. Da spielt natürlich das Thema Bündnisse mit hinein. Es gibt viele, die nicht im Verband sind, sich aber trotzdem engagieren. Und auch die wollen wir natürlich mitnehmen.

Ein ganz anderes, kaum weniger wichtiges Thema für den ADFC ist der Radtourismus. Bevor du Verkehrspolitischer Sprecher wurdest, auch ein wichtiges Standbein von dir, Bertram. Spielen Radreisen jetzt wieder eine größere Rolle in deinem Leben?

Bertram: Im Grunde genommen bin ich über radtouristische Aktivitäten zum ADFC und auch zum Kreisvorstand gekommen, der damals zu einem recht großen Teil aus Tourenleitern ­bestand. Touren spielten auch für die Mitgliederwerbung eine größere Rolle. Meine Frau Anne und ich waren damals die ersten, die eine mehrtägige Tour ins Ausland – nach Frankreich ins Elsass – angeboten haben. Von 2006 bis 2012 war ich im Bundesvorstand für die Radtouristik zuständig, und habe mich auch um eine neue Struktur für unser Projekt Bett + Bike gekümmert. Touristisch Rad gefahren und Touren geleitet habe ich auch in der ganzen Zeit als Verkehrspolitischer Sprecher, das ist gewissermaßen der freizeitmäßige Anteil des Ganzen – man trifft nette Leute und hält sich fit dabei.

Ansgar, gibt es bei Dir ein Initialerlebnis, das dich auf den Weg zum ADFC-Aktiven, Fahrradaktivisten und nun zum verkehrs­politischen Sprecher geführt hat?

Ansgar: Nach der Ausbildung im Jahr 2014 habe ich, wie man es aus Gewohnheit macht als Mensch, der vom Land kommt, mir ein Auto ­gekauft und bin jeden Morgen damit von Niederrad nach Sachsenhausen zur Arbeit gefahren. Irgendwann war ich genervt davon, dass die Leute auf dem Fahrrad ständig an mir vorbeigefahren sind, während ich Teil des Staus war und nicht vorwärts kam. Schließlich dachte ich, du bist als Kind auch oft Rad gefahren und hast ein Fahrrad zu Hause stehen – fahr‘ doch mal ­wieder! An das Radfahren habe ich mich sehr schnell wieder gewöhnt, aber nicht an die schlechten Radwege. Deshalb habe ich 2016 ­angefangen, dazu zu twittern. Bald darauf war der erste Kontakt mit dem ADFC, und ein paar Monate später saß ich bereits im Kreisvorstand.

Kannst Du ein großes Ziel formulieren, das Du als Verkehrspolitischer Sprecher ­erreichen möchtest?

Ansgar: Frankfurt soll Fahrradstadt werden, das sehe ich klar als unseren Auftrag. Dazu gehört, dass wir den Radverkehrsanteil noch deutlich steigern, dass sich mehr Menschen aufs Rad trauen und es im Alltag nutzen – und zwar unabhängig vom Alter. Dass nicht nur die besonders fitten im mittleren Alter Rad fahren, sondern wirklich alle. Dann noch das Thema Pendlerverkehr: Frankfurt ist nun einmal eine Pendlerstadt. Ich bin selbst zwei Jahre von Maintal nach Frankfurt mit dem Rad gependelt – und wurde immer schief angeguckt und bemitleidet deshalb. Dabei hatte ich viel mehr Grund, die Leute im Autostau zu bemitleiden, an denen ich jeden Tag vorbeigefahren bin. Ich möchte, dass es für mehr Leute eine Option wird, mit dem Fahrrad nach Frankfurt hineinzupendeln – und da sind wir natürlich beim Thema Radschnellwege. Ohne die geht es einfach nicht. Wir können nicht Frankfurt nur als abgeschlossene Stadt betrachten, denn das Umland hängt ganz fest damit ­zusammen.

Bertram, magst Du zum Schluss noch ein ­Resümée Deiner elfjährigen Amtszeit ziehen?

Bertram: Rückschauend kann ich sagen, dass ich absolut dankbar dafür bin, dass ich diese Funktion ausüben durfte. Ich konnte mein persönliches Interesse zum Beruf machen – was kann einem Besseres passieren?!

Lieber Bertram, lieber Ansgar, herzlichen Dank für das Gespräch und eure Zeit!

Die Fragen stellte Torsten Willner.