Skip to content

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main   

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

Artikel dieser Ausgabe

Die Transportkette ist nach DIN 30780 die „Folge von organisatorisch und technisch miteinander verknüpften Vorgängen zur Beförderung von Personen, Gütern, Tieren oder Transportbehältern von einer Quelle zu einem Bestimmungsort“.

Gabler Lexikon Auslands-Geschäfte, nach Wikipedia

Drei Länder, fünf Bahngesellschaften, eine Fährgesellschaft, 10 mal umsteigen

Die Transportkette

Unsere „Quelle“ (siehe nebenstehendes Zitat) ist Frankfurt, der „Bestimmungsort“ ist Penzance in Cornwall, weit im Westen Großbritanniens. Befördert werden sollen Personen (zwei) und Güter (Fahrräder). Am Bestimmungsort, dort, wo „Land’s End“ auf der Landkarte steht und der Atlantik gegen die Felsenküste anrollt, soll eine Radtour durch England beginnen. Grund genug, sich Gedanken über die einzelnen Glieder der Transportkette zu machen.

Also fangen wir an, zuerst bei den Fährverbindungen, deren Häfen man von Frankfurt aus in akzeptabler Zeit erreichen könnte. Und die jenseits des Kanals passable Anschlüsse an Eisenbahnlinien bieten könnten. Frankreich? Belgien? Niederlande? Die zeitaufwändige Recherche ergibt, dass sich der Fährhafen Hoek van Holland, obwohl am weitesten von unserem Ziel entfernt, eignet. Dort legt das Schiff abends um 22 Uhr ab, eine Bahnstation liegt direkt gegenüber dem Terminal – das klingt einfach, fast zu einfach.

Zum Fähranleger

Die Bahn mit Halt am Fähranleger kommt aus Rotterdam, also planen wir weiter mit Rotterdam. Doch leider ist die Hafenstadt mit Fahrradmitnahme nur sehr mühsam zu erreichen. Durchgehende Verbindungen existieren nicht, buchbare ICE-Teilstrecken helfen kaum. Sechsmal umsteigen, siebenmal umsteigen? Sechs Minuten Übergang auf einem Bahnhof, neun auf einem anderen? Klingt alles andere als verlockend und ist mit einem Fahrrad mit Gepäck kaum zu schaffen. Aufzug am Bahnsteig suchen. Hoffen, dass er funktioniert. Nacheinander hinunter zum Verbindungstunnel fahren. Zum nächsten Aufzug hasten, nacheinander hinauf zum Bahnsteig fahren. Dort den Waggon mit dem Fahrradpiktogramm suchen. Einsteigen. Das kann klappen, doch die Erfahrung zeigt, dass man sich nicht darauf verlassen kann. Schon gar nicht, wenn man den Zustand der Deutschen Bahn berücksichtigt, bei der kaum ein Zug verlässlich pünktlich am Ziel eintrifft.

Letzteres weiß das Management der Bahn offensichtlich, bietet es uns doch an, bei der Reiseplanung im Internet die jeweilige Umsteigezeit anzupassen. Klingt gut, bedeutet aber nicht, dass ein Zug auf Radfahrende aus dem verspäteten Zug wartet. Das Bahnportal schlägt einfach die nächstmögliche Verbindung vor, meist eine Stunde später. Wer mitgerechnet hat, wird feststellen, dass bei sechs Umstiegen, um im Beispiel zu bleiben, viele zusätzliche Reisestunden möglich sind, die man in den Bahnhöfen von Koblenz, Düsseldorf, Mönchengladbach oder Aachen, Venlo oder Utrecht verbringen kann. Trotzdem: Bis zur Einschiffung gegen 21 Uhr in Hoek van Holland, bei frühem Start in Frankfurt, erscheint das machbar. Aber eine Alternative mit weniger Umstiegen wäre angenehmer.

Und sie findet sich! Abseits der direkten Route nach Rotterdam fährt ein Intercity gemächlich durch Sieger- und Sauerland nach Münster in Westfalen, von dort zuckelt eine Regionalbahn bis Enschede, wo ein niederländischer Intercity nach Den Haag bereit steht. Den Haag, nicht Rotterdam? Von Den Haag, finden wir heraus, fährt man mit dem Rad nur gut 20 Kilometer bis zum Fähranleger (und wird damit selbst zu einem Glied der Transportkette). Das Beste an dieser Reisevariante ist: Alle Züge sind buchbar, sogar die Plätze für die Fahrräder im Intercity der DB (der niederländische IC nimmt Fahrräder ohne Reservierung mit). Bei frühmorgendlicher Abfahrt in Frankfurt bleibt uns noch genug Luft, um eine Verspätung und einen verpassten Anschluss auszugleichen. Oder wenn die wenigen Fahrradplätze im Intercity der Nederlandse Spoorwegen bereits belegt sind und wir auf einen späteren Zug warten müssen. Wir klicken auf „Jetzt kaufen“.

Bahnfahren in England

Das wäre geschafft, die Reise zum Fährhafen ist gesichert. Die Fährfahrt selber ist längst gebucht, von Hoek van Holland nach Harwich im Osten Englands. Das ist einfach und in wenigen Minuten erledigt. Doch angekommen in Harwich, wird es wieder spannend. Weitere Recherchen ergeben: Vom Fährhafen fährt ein Zug nach Manningtree, wo Anschluss an die Bahn nach London besteht. Durch London fährt die neue Elizabeth Line zum Bahnhof Paddington, dort starten die Züge nach Cornwall. Klingt mal wieder recht einfach, doch ein Fahrrad verkompliziert die Sache erheblich. Das britische Bahnsystem ist privatisiert, jede der rund 15 Gesellschaften hat ihre eigenen Regeln für die Fahrradmitnahme. Greater Anglia bietet in jedem Intercity einige reservierbare Plätze. Die Elizabeth Line wird von Transport for London betrieben, die Fahrradmitnahme ist dort jederzeit außerhalb des Berufsverkehrs möglich. Great Western Railways bietet in fast jedem Fernzug zwei oder vier Plätze fürs Velo, die reserviert werden müssen. Allen Gesellschaften gleich ist, dass das Fahrrad kostenlos mitreist.

Pro Zug ein Ticket

Also machen wir uns an die Buchung der Fahrkarten. Ohne Fahrrad könnten wir ein Ticket vom Fährhafen Harwich bis an unseren „Bestimmungsort“ (um in der Sprache der Logistik zu bleiben) in Cornwall kaufen. Mit Fahrrad ist das nicht möglich, für jede Bahngesellschaft müssen wir den Fahrradplatz (und damit auch die Fahrkarte) einzeln buchen. Ein Ticket für Greater Anglia, eins für Transport for London, eins für Great Western Railways. Und, da wir im Städtchen Taunton eine Zwischen-Übernachtung eingeplant haben, ein weiteres Ticket für den Folgetag, ebenfalls mit Fahrradreservierung. Das gelingt uns nach einigen Mühen, „Jetzt kaufen“ heißt nun „Buy now“, und die Transportkette ist abgeschlossen. Zufrieden über das bisher Erreichte öffnen wir eine Flasche Wein.

Die Reise beginnt

Wenige Wochen später verlässt der gebuchte Intercity den Frankfurter Hauptbahnhof überraschend pünktlich, den Anschluss nach Enschede erreichen wir in Münster bequem. In Enschede wartet der Zug nach Den Haag am gleichen Bahnsteig, und da hier die Endstation der Niederländischen Bahn ist, ist auch das Fahrradabteil noch leer. In Den Haag Centraal verlassen wir die Bahn und folgen der Radwegweisung „Hoek v. Holland 21“. Dort sind wir rechtzeitig, um beim Ablegen der Fähre den (bisherigen) Erfolg unserer Reise mit einem Bier auf dem Oberdeck zu begießen.

Am nächsten Morgen müssen wir wieder selber zu einem Glied unserer Transportkette werden. Im Fährhafen von Harwich gibt es zwar eine Bahnstation, doch im Zug von dort zur Hauptstrecke in Manningtree ist die Fahrradmitnahme untersagt. Warum, ist nicht zu verstehen, gleichen die modernen Züge doch anderen dieser Bahngesellschaft, in denen der Velotransport möglich ist. Gut 20 Kilometer müssen wir also selber fahren, eine erste Gelegenheit, sich an den Linksverkehr zu gewöhnen. In Manningtree ist Zeit für einen Cafébesuch (wir haben großzügig geplant), bevor wir zum Bahnhof aufbrechen, um den Greater Anglia-Zug nach Stratfort zu besteigen. Überraschend für uns: Bereits am Bahnsteig ist markiert, wo der Waggon mit dem Fahrradabteil halten wird, wir warten genau dort, wo sich die Türen zu unseren reservierten Plätzen öffnen. Die Züge sind hochmodern, die Räder können einfach abgestellt werden wie in unseren Nahverkehrszügen. Kein Gewürge mit Aufhängen, kein Rangieren auf engstem Raum, kein Verhakeln mit anderen Velos. Der Zug rast los und erreicht bald Stratfort im Osten Londons. Dort warten Lifte auf jedem Bahnsteig, die den Umstieg in die Elizabeth Line erleichtern. Das ist hier für uns stressfrei, denn die Londoner Bahn fährt mindestens im Zehnminutentakt und eine Reservierung ist nicht nötig. Nach rund 20 Minuten erreichen wir den Bahnhof Paddington und steigen aus den Tiefen von London Underground hinauf in die sonnendurchflutete Bahnhofshalle, dank vieler Lifte und guter Beschilderung auch hier recht komfortabel. Etwas ungewohnt für uns: Auf welchem Bahnsteig ein Zug ankommt, wird erst kurz vor Abfahrt bekanntgegeben. So scharen sich die Reisenden vor den Anzeigetafeln und warten gespannt auf die Zahl, die irgendwann hinter „ihrer“ Verbindung auftaucht. Ebenfalls etwas ungewohnt: Die Bahnsteige sind (wie auch in den Niederlanden oft üblich) nur durch Sperren zu erreichen, die ohne Ticket nicht zu überwinden sind. Hat man das geschafft, signalisiert ein Fahrradpiktogramm am Zug der Great Western Railways, wo Platz für die Velos ist. Doch jetzt wird es eng, die Räder müssen in diesen Zügen in einem schmalen Kämmerchen am Vorderrad aufgehängt werden, was mit viel Mühe verbunden ist. Der Zug nach Taunton, wo wir übernachten wollen und auf etwas Erholung von den bisherigen Reisestrapazen hoffen, verlässt Paddington mit einer halbstündigen Verspätung und legt bis Taunton noch einige Minuten drauf, doch das ist uns an diesem Nachmittag fast schon egal. Nach sechs Zügen, einem Schiff und einigen Radkilometern wollen wir nicht kleinlich sein. Die Transportkette ist ja nicht gerissen.

Das Ziel ist erreicht

Am nächsten Morgen, nach einer erholsamen Nacht und einem klassischen englischen Frühstück mit einer Schale Cereals, „fully cooked breakfast“ mit bacon, sausages, fried egg, beaked beans, black pudding, grilled tomatos, mushrooms and hash browns, zum Abschluss Toast und Marmelade, alles mit reichlich Tee, folgt die letzte Etappe. Der dunkelgrüne Zug der Great Western Railways ist pünktlich, eine Ansage am Bahnsteig informiert über die genaue Position der Fahrradabteile, und das Rangieren und Aufhängen der beiden Velos gelingt nach der Übung vom Vortag schon etwas leichter. Der Zug fährt ab und erreicht unseren „Bestimmungsort“ Penzance exakt um 13.07 Uhr. Genau so war es auch im Fahrplan vorgesehen. Jetzt noch auf die Räder und die letzten Kilometer, die hier Meilen sind, bis zum gebuchten Zimmer in einem Bed & Breakfast in der Nähe von Land’s End fahren, wo die Transportkette endet. Wir feiern in der Abendsonne auf dem Dorfplatz von St. Just mit einer großen Portion Fish’n’Chips.

Die Kette hat gehalten

Na, geht doch! Ja, mit guter Vorbereitung, und die ist ja bereits Teil der Reise. Die Vorfreude beginnt mit den ersten Recherchen und steigert sich mit jedem (Buchungs-)Schritt, der uns unserem Ziel näher bringt. Schlaflose Nächte gab es natürlich auch. Denn selbst bei der von uns großzügig geplanten Transportkette, mit jeweils reichlich Zeit zwischen den einzelnen Fahrten, wäre ein Zugausfall damit verbunden gewesen, reservierte Fahrradabteile zu verpassen, und ungewiss wäre geblieben, wann die nächste Fahrtmöglichkeit bestanden hätte. Im Voraus gebuchte und bezahlte Übernachtungen müssten storniert werden, die dabei entstehenden Kosten gingen zu unseren Lasten. Zum Finale kam dann noch der angedrohte Streik bei der Deutschen Bahn. Was, wenn genau an unseren Reisetagen…? Unnötige Sorgen, wie sich im Nachhinein herausstellt, die Transportkette hat Stabilität bewiesen, wir haben unser Ziel pünktlich erreicht.

Und zurück auf den Kontinent, zurück nach Frankfurt am Ende einer langen Radtour durch England? Welche Fähre, welche Züge, was geht bei kurzfristiger Buchung im internationalen Reiseverkehr? Auch das ein spannendes Thema, aber darüber – wie über die Reise im Land überhaupt – lest ihr vielleicht bei anderer Gelegenheit in dieser Zeitschrift.

Peter Sauer