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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Gefangen in der
Gegenwart

Ein archäologischer Blick auf die Verkehrswende

Der Verkehr wurde schon längst gewendet. Wir können es überall sehen. Und weil wir es überall sehen, können wir es nicht sehen. Wir sind gefangen in der Gegenwart. Um ihr zu entkommen, begeben wir uns nun auf eine kleine Gedankenreise ins 31. Jahrhundert.

Wir sind an einer archäologischen Ausgrabung beteiligt, die eine Siedlung ausgräbt, in der wir vor 1000 Jahren hätten leben können. Wir finden die Überreste von Wohnhäusern, in deren Kellern wir sogenannte Fahrräder aus verschiedenen Metallen ausgraben. Wir legen „Fahrbahnen“, „Gehwege“ und massenhaft „Bordsteine“ frei. Wir sind mit historischen Quellen konfrontiert, die um die Jahrtausendwende im 20. und 21. Jahrhundert sogenannte „Radwege“ in Städten erwähnen, doch die archäologischen Funde widersprechen diesen Quellen. Es finden sich keine baulichen Hinweise auf Radwege. Genauso entnehmen wir den historischen Quellen, dass die Straßen aller Wohnviertel von „Parkplätzen” für Autos gesäumt waren. Doch auch hierfür liefert die Archäologie keine Belege. Wir finden lediglich Fahrbahnen, Gehwege, Bordsteine und massenhaft Metallpfosten. Es scheint aussichtslos zu sein, dieses Rätsel zu lösen. Im 31. Jahrhundert kann sich niemand vorstellen, dass die Menschen vor 1000 Jahren Gehwege mit Bordsteinen von den Fahrbahnen abtrennten, aber gleichzeitig dieselben Gehwege durch Verkehrszeichen und farbliche Markierungen zu großen Teilen als Parkplätze und Radwege nutzten, obwohl Bordsteine genau dies verhindern sollten.

Warum sollten die Menschen damals so viel Aufwand in den Bau von Gehwegen gesteckt haben, wenn sie nicht zum Gehen vorgesehen waren? Waren die Fahrräder, die man ausgrub, womöglich keine Transportmittel, sondern religiöse Artefakte einer postmodernen Zivilisation, die saisonal wiederkehrend aus den Kellern geholt und zu besonderen Anlässen benutzt wurden? Oder wendeten die damaligen Menschen den Verkehr so schnell zugunsten des Autoverkehrs, dass sie bei der baulichen Anpassung ihrer Städte nicht mehr mithalten konnten?

Mario Holldack,
ADFC Bad Homburg