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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Bild zum Artikel Gedenkminute für einen getöteten Radfahrer am Börneplatz
Peter Sauer

Toxische Männlichkeit

Ghostbikes erinnern an die Opfer von zumeist männlicher Gewalt im Straßenverkehr

Im September 2019 rast ein Autofahrer nachts über die Taunusanlage, ignoriert eine rote Ampel und überfährt dann einen bei Grün kreuzenden Radfahrer. Der Radfahrer überlebt diese Begegnung nicht. Im November 2020 beschleunigt in der Sonnemannstraße ein Autofahrer seinen PS-starken, tonnenschweren Boliden so heftig, dass er die Kontrolle über das Fahrzeug verliert und dadurch in der Oskar-von-Miller-Straße zwei Menschen, darunter ein Radfahrer, getötet werden, eine weitere Person wird schwer verletzt. "Toxische Männlichkeit" attestiert Falko Görres von "Ghostbike Frankfurt" vielen Teilnehmern im Straßenverkehr. Es seien fast ausschließlich Männer, zumeist jüngere, die für Unfälle dieser Art verantwortlich seien, Männer, die ihr Auto weniger als Transportmittel als vielmehr zu Selbstdarstellung und Machtdemonstration benutzten.

Anlässlich des letzten schweren Unfalls im Frankfurter Ostend hatten ADFC Frankfurt, VCD Regionalgruppe Rhein-Main, Ghostbike Frankfurt und der Betriebsrat Lieferando Ffm/Of zu einer Gedenkfahrt aufgerufen, mit Zwischenkundgebungen an den Orten tödlicher Folgen des Autoverkehrs. Rund 200 Radfahrende kamen am 5. Dezember auf dem Goetheplatz zusammen, viele davon Kolleg:innen des in der Oskar-von-Miller-Straße getöteten Lieferdienst-Radfahrers, die meisten gekleidet im auffälligen orangefarbenen Outfit der Firma. Nach einleitenden Worten von Werner Buthe, Organisator der Veranstaltung, rollte der Demonstrationszug mit Polizeibegleitung in die Taunusanlage zu dem dort stehenden Ghostbike. Hier wurde an den schweren Unfall mit einer Gedenkminute erinnert. Danach prangerte Falko Görres das Verhalten vieler, überwiegend männlicher Verkehrsteilnehmer, an, die mit tonnenschweren und übermotorisierten Fahrzeugen auf den städtischen Straßen unterwegs sind und damit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit werden. Im Anschluss bewegte sich der Gedenkzug weiter über den Anlagenring zur Kreuzung Kurt-Schumacher-Straße/Battonstraße. Dort verstarb vor wenigen Jahren ein Radfahrer, der von einem Lkw übersehen wurde. Auch hier erinnert ein weißes Geisterrad an den Toten. Mathias Biemann vom VCD Rhein-Main nahm dies nach einer Gedenkminute zum Anlass, Zweifel an unserem Miteinander im Straßenverkehr zu äußern. Ist es wirklich richtig, Kinder verkehrsgerecht zu erziehen, anstatt den Verkehr kindergerecht zu gestalten und damit für alle Teilnehmenden ungefährlicher zu machen?

Der nächste Halt fand dann schon am Ort des Schreckens in der Oskar-von-Miller-Straße statt. Blumen und Kerzen erinnern vor dem dortigen Aldi-Markt an den tödlichen Unfall. Ein Kollege des umgekommenen Lieferdienst-Radlers, ein junger Mann aus Bangladesh, machte aus seiner Betroffenheit über den Tod keinen Hehl. Danach erinnerte António Fernandes Coelho, Betriebsrat bei Lieferando Ffm/Of, daran, dass der Job der Essenslieferanten geprägt ist von Hektik und Stress, dass man immer mit gefährlichen Situationen rechnen müsse. Doch sei dieser Job, gerade für ausländische Kolleg:innen, eine der wenigen Möglichkeiten, neben Ausbildung oder Studium etwas Geld zu verdienen.

Ansgar Hegerfeld vom ADFC Frankfurt brachte es in seinem Schlussplädoyer auf den Punkt: Es darf nicht sein, dass Vergehen im Straßenverkehr, auch solche mit tödlichen Folgen, weiterhin so milde bestraft werden, wie dies in Deutschland der Fall ist. Selbst nach schweren Unfällen drohe nur ein kurzzeitiger Führerscheinentzug, oftmals noch mit freier Auswahl des Entzugszeitraums. Die Überwachung des Verkehrs sei unzureichend, die Behörden seien weder personell noch materiell ausreichend ausgestattet. Vergehen im Straßenverkehr blieben in der Regel folgenlos, was sich dann eben auch auf das Verhalten auf der Straße auswirke. Andere Länder seien da weiter. Ansgar Hegerfeld nannte die Schweiz, in der Bußgelder deutlich höher ausfallen und die Fahrerlaubnis schneller und länger weg ist als bei uns. Prompt werde dort rücksichtsvoller und deutlich regelkonformer gefahren.

Die Gedenkveranstaltung wurde beendet mit der Aufstellung eines weißen Ghostbikes am Unfallort. Hier wird nun auch zukünftig an den tödlichen Unfall, verursacht durch einen Mann in einem übermotorisierten, überschweren Automobil, erinnert.

Peter Sauer