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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Kommt auch hier hoch: Die "Speedmachine" am Stausee im Martelltal im Südtiroler Vintschgau, 1.850 M. ü. M.
Peter Trabert

Liegen lernen

Wer einmal wissen will, wie wirklich tiefe Verachtung aussieht, der schaue der Rennradgruppe, mit der ich seit vielen Jahren zwei, drei Mal die Woche gefahren bin, beim Passieren eines Liegerades in die Augen.

"Liegeräder! Ästhetische Fragwürdigkeiten, gesteuert von alten Nerds!" – "Verkehrshindernisse, manchmal dreirädrig! Gott sei Dank selten!" – "Mit Sport hat das ja nichts zu tun, eher mit Therapie! Geht gar nicht!" liest man in diesen Augen.

So auch ich, bis zu meinem Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule Anfang dieses Jahres. Rennradfahren geht zwar noch – auch mit Bandscheibenvorfall – ist aber eine ganz schöne Quälerei geworden. Das macht gar keinen Spaß mehr!

Aber ich will fahren, den Wind spüren!

Angeblich soll so ein Liegerad den Rücken gar nicht belasten …

Also mal eins ausprobieren?

Gar nicht so einfach!

Wer sich für Liegeräder interessiert, begibt sich in die Niederungen einer absoluten Subkultur. In Frankfurt gibt es gerade einmal einen einzigen Fahrradladen, der Liegeräder verkauft: Mainvelo in Harheim. Ich schätze, dass hier auf 1.000 Rennradfahrer ein Liegeradfahrer kommt und das, wo einer der größten deutschen Hersteller von Liegerädern, HP Velotechnik, im 20 Kilometer entfernten Kriftel ansässig ist.

Also habe ich bei Mainvelo in Harheim angerufen und einen Termin für eine Beratung und Probefahrt ausgemacht und zwar auf einem einspurigen Liegerad. Hierfür sollte man etwas Zeit mitbringen. Gut zwanzig Minuten bin ich nämlich unter dem Beifall anwesender Liegeradfahrer im Hof von Mainvelo herumgefallen, bevor ich fahren konnte. Herumgefallen ist hier wörtlich gemeint.

Zwischendrin habe ich gedacht: "Was für eine Scheißidee! Lass es! Geh nach Hause, setz dich aufs Rennrad, beiß die Zähne zusammen. Das wird schon irgendwie gehen."

Irgendwann war ich so weit, dass ich mir zugetraut habe, eine kleine Probefahrt entlang der nahen Nidda zu machen. Wenn man erst mal rollt und einen komfortablen Radweg nutzen kann, geht das ganz gut. Leider fällt man beim Anhalten und Anfahren anfangs immer um. Das ist aber mehr peinlich als dass es weh tut.

Probefahrten an der Nidda

Drei Liegeräder bin ich Probe gefahren und habe mich dann entschieden, die "Speedmachine" von HP Velotechnik für eine Woche auszuleihen.

In dieser Zeit habe ich alle möglichen Touren ausprobiert, um entscheiden zu können, ob das Liegerad ein Ersatz für das Rennrad sein könnte. Es dauert eine ganze Weile bis man mit dem Liegerad vertraut ist und sich wohl fühlt.

Aber ja, es geht. Wenigsten für mich. Irgendwann habe ich angefangen, mich auf meine Liegeradtouren zu freuen, wie ich mich früher auf meine Rennradtouren gefreut habe. Es macht Spaß!

Also habe ich die Speedmachine gekauft und zwar neu. Hier in Hessen sind die Angebote am Gebrauchtmarkt sehr dünn. Liegeradfahren, das zeigt ein Blick in ebay-Kleinanzeigen, findet hauptsächlich nördlich von Hannover statt und auch dort nur als Randerscheinung.

Zur Speedmachine ist zu sagen, dass sie trotz ihres vielversprechenden Namens kein Rennrad ist. Im Sinne eines Rennradfahrers ist sie bestenfalls ein Gravelbike. Die Variante, die ich mir ausgesucht habe, wiegt 16 kg. Meine Rennräder sind neun Kilogramm leichter. Wenn man anfangen möchte, sein Liegerad etwas zu "pimpen", um zum Beispiel Gewicht zu reduzieren, bemerkt man erst einmal, in welchem Nischenmarkt man unterwegs ist. Während es für Rennräder Vorbauten, Lenker, Laufräder usw. in mannigfaltiger Auswahl gibt, habe ich bereits ein Problem damit, einen sportlichen Reifen für das 20 Zoll-Vorderrad der Speedmachine zu finden. Ich habe nur einen Reifen – Kojak von Schwalbe – gefunden und den auch nur in einer Breite.

Handwerklich ist die Speedmachine gut durchdacht. Beinlänge, Lenker, Sitzwinkel … alles lässt sich gut einstellen. Sie passt problemlos auf einen Fahrradgepäckträger. Nach jetzt gut 2.500 Kilometer Fahrt würde ich sagen, dass die Qualität sehr gut ist. Bei einem Preis von 3.800 Euro darf man das aber auch erwarten.

Bild zum Artikel Der Autor auf seinem Liegerad von HP Velotechnik, hier auf einer Flachetappe
Peter Trabert

Die Aerodynamik ...

Nun zur sportlichen Seite. Von meinen Standardstrecken in Wetterau, Spessart, Taunus und Rhön kenne ich natürlich die Geschwindigkeiten, die ich mit dem Rennrad fahre.

Mit dem Liegerad bin ich aufgrund der besseren Aerodynamik im Flachen gut zwei bis drei Kilometer pro Stunde schneller, in einer leicht hügeligen Landschaft wie der Wetterau bin ich in etwa so schnell wie mit dem Rennrad und im Taunus gut zwei bis drei Kilometer pro Stunde langsamer (Durchschnittsgeschwindigkeiten bei Tourenlängen von ca. 100 km).

... und die Berge

Je steiler es wird, desto schlimmer wird es allerdings. Die Oberschenkel glühen, der Puls geht aber nicht so hoch, weil im Liegen weniger Muskelgruppen beteiligt sind. Auf der allen ortsansässigen Rennradfahrern bekannten Referenzstrecke Hohemark – Feldbergspitze bin ich 15 Prozent langsamer als mit dem Rennrad. Einen Teil holt man dann bei der Abfahrt wieder auf. Aber eben nur einen Teil.

Natürlich geht da noch was, wenn man zu anderem Material greift. Es gibt auch Liegeräder zwischen neun und elf Kilogramm Gewicht. Und fünf Kilogramm weniger bringen ganz sicher noch etwas an Geschwindigkeit, gerade wenn es steil wird. Doch dass ich mit einem Liegerad am Berg so schnell sein kann wie mit dem Rennrad, glaube ich nicht

Immerhin kann ich mit der Speedmachine alles hochfahren, was es in Frankfurt und drum herum an steilen Stücken gibt, sogar die Röhrborngasse in Bergen-Enkheim mit ihren 20 % Steigung. Doch die klassischen Alpenpässe wie das Stilfser Joch oder der Col du Galibier – ob die mit Anstand zu schaffen sind, das muss man abwarten.

Dafür entschädigt dann die Abfahrt. Mit dem Liegerad den Feldberg hinab, das ist wie Seifenkisten fahren. Natürlich bin ich deutlich schneller als mit dem Rennrad, auch in den Kurven traue ich mir mehr zu und fühle mich dabei sicherer. Man "liegt" einfach besser. Das macht einen riesigen Spaß!

Wohin ich mich nicht traue, ist der Frankfurter Stadtverkehr. Es ist dabei nicht einmal so, dass man selbst nicht gesehen wird, sondern die eigene Übersicht ist das Problem. Bevor man Einblick in eine zugeparkte Kreuzung bekommt, sind die Füße ja schon auf der anderen Straßenseite angelangt. Obwohl der Bremsweg wegen des niedrigen Schwerpunkts viel geringer und der häufigste Fahrradunfall – über den Lenker absteigen – beim Liegerad ausgeschlossen ist, und man letztlich auch nicht so tief fällt, mache ich um die City immer einen großen Bogen.

Das Wichtigste zum Schluss: der Rücken, die Bandscheibe. Ja, die Belastung ist deutlich geringer als beim Rennrad. Keine Schmerzen beim Fahren, keine Schmerzen danach. Es ist nicht so, dass gar keine Belastung auf der Lendenwirbelsäule ist, aber das ist kein Vergleich zu der Quälerei, die ich zuletzt auf dem Rennrad durchmachen musste.

Man braucht eine Portion Durchhaltevermögen, um zum Liegerad zu finden. Es ist eine Investition. Für mich hat sie sich gelohnt. Im flachen und hügeligen Gelände werde ich es dem Rennrad vorziehen. Ob ich mich allerdings im Mittelgebirge oder in den Alpen weiterhin dem Spott meiner Rennradkollegen aussetzen möchte, weiß ich noch nicht.

Peter Trabert




ADFC-Mitglied Peter Trabert (57) nennt als Hobbys Radfahren und Schreiben. Er arbeitet im Controlling einer Investment-Gesellschaft, ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.
Peter Trabert