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Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt am Main

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Artikel dieser Ausgabe

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Frankfurt

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Vor der Kommunalwahl am 14. März:

Wie positionieren sich die Parteien zum Radverkehr?

Grafik: Peter Sauer

Irgendwie kommt im ganzen Corona-Lockdown der Jahreswende 2020/2021 keine richtige Wahlkampfstimmung auf, obwohl die Kommunalwahl schon recht bald stattfindet. Es ist in einer großen Koalition CDU-SPD-GRÜNE auch nicht so ohne weiteres möglich, permanent auf Konfrontation zu gehen, um das eigene Profil zu schärfen. Die Auseinandersetzung um den autofreien Mainkai im Sommer und Herbst 2020 ließ ein wenig Wahlkampf aufblitzen, und die pausenlose AWO-Skandalisierung sollte OB Feldmann und damit natürlich der SPD schaden. Aber inhaltlich reicht das lange noch nicht für eine Profilierung. Immerhin wurde von der CDU bei ihrer Wahlkampf-Eröffnungsveranstaltung im FSV-Stadion im Spätsommer 2020 die Verkehrspolitik als erstes Thema in den Vordergrund gestellt. Das ist nicht selbstverständlich und zeigt, dass der ADFC mit seiner Radverkehrs-Agenda mitten im Zentrum der Kommunalpolitik steht.

Kommunalwahlprogramme für 2021 der demokratischen Parteien konnten wir von CDU, GRÜNE, LINKE und FDP vorfinden. Von der SPD, die immerhin den Verkehrsdezernenten stellt, liegt noch kein Dokument vor, das sich selbst so nennt oder den Charakter eines Programms hat. Da kommt sicher noch etwas nach.

Im Folgenden wird darauf verzichtet, Programm-Versatzstücke der Parteien zu zitieren und Textbausteine aneinanderzureihen. Damit bringen wir unsere Leser nicht weiter. Wer die Kommunalwahlprogramme lesen will – allemal sinnvoll, wenn auch z.T. anstrengend – kann sie im Netz sehr leicht googeln. Wir versuchen hier eine inhaltliche Zusammenfassung und Wertung.

Bild zum Artikel Peter Sauer

Vorrang für nachhaltige Mobilitätsformen – ja oder nein?

Alle genannten Parteien ordnen den Radverkehr in ein mehr oder weniger detailliertes Gesamt-Mobilitätskonzept ein. Keine der genannten Parteien äußert sich in der Richtung, dass sie das derzeitige Wachstum des Radverkehrs zurückdrehen möchte. Radverkehr wird mindestens als eine wichtige Option der Alltagsmobilität anerkannt. Die Unterschiede zeigen sich an der Frage, ob man bereit ist, in Richtung einer Verkehrswende den Radverkehr explizit zu priorisieren, im Sinne einer Neuverteilung des Verkehrsraums, wenn nötig auch auf Kosten des rollenden und ruhenden Autoverkehrs.

Hier zeigt sich schon eine Sortierung in zwei Lager. Während CDU und FDP das Miteinander aller Verkehrsarten und das Primat eines Gesamt-Mobilitätskonzepts in den Fokus stellen, stellt für GRÜNE und LINKE die Radverkehrsförderung Teil eines Verkehrswendekonzepts, bei dem das Auto (das fossil betriebene sowieso) in der Stadt zurückgedrängt werden muss. Bei der SPD weiß man auch ohne Programmtext, dass mindestens der Planungs- sowie der Verkehrsdezernent auch in diese Richtung denken und agieren. Ginge es nur um Verkehrspolitik, hätte Rot-Rot-Grün ("R2G") durchaus eine inhaltliche Basis.

Die Parteien im Einzelnen

Das Thema nachhaltige Mobilität durchzieht das umfangreiche Kommunalwahlprogramm der GRÜNEN an vielen Stellen. Wie schon vor der letzten Kommunalwahl 2016 haben die GRÜNEN von allen Parteien insgesamt das elaborierteste Konzept im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Wie viel sie davon anzupacken bereit und in der Lage sein werden, ist eine andere und spannende Frage. Die Wahlarithmetik lässt es sehr wahrscheinlich erscheinen, dass die GRÜNEN auf alle Fälle in einer wie auch immer gearteten Magistratskoalition dabei sein werden. Ob sie dann das Verkehrsdezernat beanspruchen können oder wollen wie in der schwarz-grünen Koalition bis 2016, bleibt offen.

Der CDU tut man sicher nicht unrecht mit der Annahme, dass zumindest der Mehrheit ihrer Mandatsträger momentan die ganze Richtung nicht passt. Radstreifen statt Fahrspuren, Tempo 30, Fahrradbügel statt Parkplätze, ständig solche Begriffe wie "Verkehrswende" oder "autofrei" – das widerspricht dem Lebensgefühl eines suburbanen Konservativen. Dazu kommt, dass die IHK auch in Frankfurt reflexartig alles bekämpft, was dem Autoverkehr auch nur einen (kostenlosen) Parkplatz nimmt oder den Druck aufs Gaspedal reduziert. Daher findet sich im Programm der CDU viel von "Miteinander", "abgestimmt" und "ganzheitlich" – alles immer richtig, aber es dient auch oft dazu, Prioritätensetzung zu vermeiden und konkretes Handeln auf die lange Bank zu schieben. Ein konkreter Vorschlag ist, den Radverkehr auf Nebenstraßen zu kanalisieren – das wäre für uns ein Rückschritt, denn auch auf Hauptstraßen muss eine nachhaltige und sichere Verkehrsinfrastruktur Rad fahren möglich machen. Ein interessanter Programmpunkt ist übrigens den Fußgängern gewidmet: die CDU befürwortet eine störungsfreie Gehwegbreite von 2,5 Metern. Prima! Das hätte allerdings die zwingende Konsequenz, in den dicht bebauten Gründerzeitvierteln in den meisten Straßen das Gehwegparken abzuschaffen, was dann dort den Wegfall der Hälfte aller Parkplätze zur Folge hätte. Chapeau!

Die LINKE ist seit jeher in der Opposition und muss daher eigentlich nicht auf Koalitionsüberlegungen Rücksicht nehmen. Was sie programmatisch zum Radverkehr formuliert, ist aber keineswegs utopisch oder provokant linksradikal. Die LINKE will den Fuß- und Radverkehr in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik stellen mit dem Ziel, Frankfurt soweit es geht zu einer "Stadt der kurzen Wege" zu machen. Die konkreten Forderungen, wie z. B. breite und möglichst auf der Fahrbahn separierte Radwege, die den Fußgängern nicht den Platz streitig machen, sind anderswo schon Beschlusslage (Berlin) oder seit Jahren selbstverständliche Realität (Niederlande). Zumindest mit den radverkehrspolitischen Aussagen verbaut sich die LINKE keine für sie realistische Koalitionsoption.

Die FDP hat ein Positionspapier veröffentlicht mit dem Titel "Mobilität neu denken". Dieser Text hat durchaus den Charakter eines Kommunalwahlprogramms für den Bereich Verkehr. Der Text liest sich keineswegs wie ein Manifest für immer mehr Autoverkehr – obwohl man das von der FDP ja erwarten könnte. Es wird stattdessen gefordert, dass alle Magistralen und Ringe einen separaten Radweg bekommen sollen. Es sei zu prüfen, bei derzeit vierspurigen Straßen eine Autospur wegzunehmen zugunsten je eines Radwegs auf beiden Seiten. Die FDP konstatiert sogar – IHK bitte genau mitlesen –, dass für die Erhöhung der Attraktivität von Einkaufsstraßen wie z. B. der Schweizer Straße Parkplätze zugunsten von Fahrradabstellplätzen entfallen müssen, denn: "Die Kunden der Einzelhändler sind zunehmend auf das Fahrrad umgestiegen und erwarten entsprechende Abstellmöglichkeiten".

"Die Partei" müsste für sich langsam die Frage klären, ob sie partout eine Satirepartei bleiben will oder nicht. In einem Kommunalwahlprogramm Headlines zu setzen wie "E-Scooter töten" oder "Innenfreie Autostadt" ist sicher ganz lustig, aber irgendwie auch belanglos. Dabei sind einige Leute aus der "Partei" durchaus in der Lage, innerhalb und außerhalb der Stadtgremien ernstzunehmende Arbeit zu liefern, auch für die Förderung des Radverkehrs. Zwanghafte "Witzischkeit" verschwendet auf die Dauer Ressourcen!

Die SPD hat wie erwähnt noch kein Kommunalwahlprogramm ins Netz gestellt, wohl aber den wahlkämpferischen Slogan #StolzAufEinFrankfurtFürAlle. Dort werden zu den aus SPD-Sicht wichtigsten sechs Themenbereichen der Frankfurter Kommunalpolitik die bisherigen Errungenschaften der SPD in der letzten Legislatur dargestellt und Positionen für die Zukunft formuliert, aber sehr knapp. Zum Radverkehr heißt es lapidar: "Radverkehr weiter fördern". Nun ist die Ausführlichkeit eines Wahlprogramms nicht das entscheidende Kriterium für die Qualität der daraus resultierenden Politik. Klaus Oesterling kann als Verkehrsdezernent aus unserer Sicht durchaus auf erfolgreiche fünf Jahre für den Radverkehr zurückblicken. Seine bisherige Amtszeit hat dem Radverkehr spürbar und sichtbar gut getan.

Voraussichtlich handelnde Personen

Was natürlich neben den Programmaussagen auch interessiert: wer aus den Parteien wird künftig in der Verkehrspolitik eine führende Rolle spielen? Bei der CDU wird – neu – Frank Nagel die Verkehrspolitik maßgeblich mitbestimmen; der derzeitige verkehrspolitische Sprecher Martin Daum kandidiert nicht mehr für die Stadtverordnetenversammlung. Die GRÜNEN stellen mit dem langjährig erfahrenen Wolfgang Siefert derzeit den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses, er kandidiert auch wieder. Außerdem kandidiert bei ihnen auf vorderer Position – neu – der Radentscheid-Ko-Sprecher Heiko Nickel vom VCD. Bei der LINKEN kandidiert der verkehrspolitische Sprecher Martin Kliehm wieder auf einem aussichtsreichen Listenplatz. Bei der FDP ist Annette Rinn wieder Spitzenkandidatin, die auch derzeit die FDP im Verkehrsausschuss vertritt. Bei der "Partei" darf wieder mit den halb-satirischen Auftritten Nico Wehnemanns gerechnet werden. Last not least die SPD, die seit 2016 mit Klaus Oesterling den Verkehrsdezernenten stellt. Aus dem hauptamtlichen Pool der Referent:innen und Mitarbeiter:innen im Dezernat hat sich vor allem Stefan Lüdecke erhebliche Meriten bei der Radverkehrsförderung erworben. Was die SPD-Fraktion angeht, so kandidiert der bisherige verkehrspolitisch Sprecher Eugen Emmerling aus Altersgründen nicht mehr. Wer künftig für Die SPD-Fraktion zu diesem Thema den Hut aufhat, wird wohl nach der Wahl in der neuen Fraktion entschieden.

Wer schlussendlich nach der Wahl (der Dezernent selbst ist gewählt bis 2022) das Verkehrsdezernat übernimmt, ist Verhandlungssache der dann gebildeten Magistratskoalition und jetzt absolut nicht vorhersehbar. Eins wissen wir aber schon, und das ist nicht für alle Städte Deutschlands selbstverständlich: der Grad der Begeisterung und Entschlossenheit für die Sache des Fahrrades mag unterschiedlich sein, aber alle verkehrspolitisch profilierten Kandidat:innen haben ein positives Verhältnis zum Fahrrad als Alltags-Verkehrsmittel, und viele sind auch selbst aktive Alltags-Radfahrer:innen. Von daher gehen wir als ADFC davon aus, dass unsere kritisch-konstruktive Herangehensweise auch in der nächsten Legislatur im Interesse der Rad fahrenden Frankfurter:innen die richtige sein wird.

Bertram Giebeler